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Der gläserne Wald

Der gläserne Wald

Titel: Der gläserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinald Koch
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der Hoffnung nicht trennen und lief mit erhobenen Armen den Weg hinab. Mehrmals stieß er einen unartikulierten Schrei aus; ein paar Mal stolperte er.
    Die Strecke, die er zurücklegen musste, hatte von oben viel kürzer ausgesehen, und, als sich die Neigung des Weges verringerte, verfiel er auch wieder in seinen gequälten, stolpernden Trott.
    Plötzlich standen zwei großgewachsene, breitschultrige Männer vor ihm. Sie standen ruhig da wie Felsen und ließen ihn auf sich zukommen.
    Thomal blieb schwankend stehen und blickte sie an. Er breitete die Arme aus und wies ihnen die leeren Handflächen. Die beiden Männer vor ihm nahmen keine feindselige Haltung ein. Dennoch spürte er, dass etwas bedrohlich Machtvolles von ihnen ausging.
    »Wasser!« sagte Thomal und fiel vor den Männern auf die Knie. »Wasser!« Er machte dabei eine Bewegung, als führe er einen imaginären Becher zum Mund, um zu trinken.
    »Wassar?« fragte einer der beiden Männer zurück, dann winkte er in die Dunkelheit hinter seinem Rücken und rief irgendjemand etwas zu. Thomal verstand nicht, was der Mann gesagt hatte.
    »Trinken!« wiederholte er, »ich habe Durst, Wasser!«
    »Trinkan, ia!« entgegnete der Mann und nickte. – »Was suochis thu in thesem lante?«
    Hinter den beiden Männern tauchte ein dritter auf, der ein offensichtlich schweres Gefäß trug. Als Thomal das Schwappen des Wassers darin hörte, sprang er auf und lief dem Mann entgegen, doch der hätte vor Schreck beinahe das Gefäß fallen lassen. Thomal riss den ledernen Eimer an sich und begann gierig zu trinken. In seiner Hast benetzte er sich von oben bis unten mit Wasser. Als er genug getrunken hatte, setzte er keuchend den Eimer auf den Boden.
    »Ich bin Tolt, the Nägar«, sagte der Mann, welcher bisher noch nichts gesprochen hatte. – »Inti theser ist Altar tha Barga.«
    Thomal begann zu verstehen, dass dies keine andere Sprache war; nur klangen die Worte so ungewöhnlich.
    »Ich bin Thomal«, entgegnete er.
    »Thomal«, wiederholte der, der sich Tolt genannt hatte, und zu Altar tha Barga fügte er hinzu: »Sprichit alta altanon spracha, chwer wir lerntemes im heilagen!«
    Nach kurzer Überlegung fragte er Thomal: »Kannst du mich verstehen? – Ich habe die alte Sprache der Vorfahren gelernt, aber es fällt mir schwer, die Laute so zu sprechen, wie thu.«
    Sorgfältig schien der Mann jedes Wort aus der Tiefe seiner Erinnerungen hervorzusuchen, und Thomal verstand ihn gut, obgleich er besonders die Aussprache der Vokale eigenartig fand.
    »Ja, ich verstehe«, erwiderte er. »Es ist gut, dass wir miteinander reden können. Könnt ihr mich auch wirklich verstehen?« fragte er Misstrauisch und verfiel unwillkürlich in die gleiche, stark melodische Betonung, welche die Ne Paresen gebrauchten.
    Die beiden Männer nickten, und der größere von ihnen bat: »Sprich langsam, thane ferstehemes wir!« – Offensichtlich waren seine Kenntnisse der Normalsprache geringer als die des Mannes Tolt.
    Aus dem grünlichen Zwielicht des heraufziehenden Morgens tauchten jetzt zögernd von überallher schmutzbeschmierte Gestalten auf, die in einem weiten Kreis um Thomal und die beiden Ne Paresen warteten. Da erst gewahrte Thomal, dass die beiden Männer jene eigenartigen Kleidungsstücke trugen, die er bei den Soldaten am Landungstag vor Zaina schon gesehen hatte, wohingegen die ringsum stehenden Menschen einfacher und ungleichmäßiger gekleidet waren.
    »Ich bin nicht nur gekommen, um Wasser zu erbitten. Wir, meine Männer und ich, wollen nicht mehr kämpfen. Wir haben unsere Waffen fortgeworfen. Wir geben uns in eure Gewalt.«
    »Guot!« sagte der, der Tolt hieß. »Ihr wellit frieden. Warum habet ir Zaina zerstörit?«
    Thomal hob die Schultern und ließ sie wieder sinken.
    »Ich weiß nicht«, entgegnete er. »Ich bin kein Offizier. Ich befehle nur über sechs Männer. Auch meine Männer haben Durst. Sie sind schwach von der Luft hier und dem langen Marsch. Gebt auch ihnen Wasser. Sie liegen dort hinter dem Hügel.« Er wies mit der Hand in die Richtung, aus der er gekommen war.
     
    Dank sei der hohen allinnewohnenden Kraft der Mathematik, die uns diesen Tag und diese Nacht schenkte – wenn ich nur verstehen könnte, warum sich dieser Thomal ergeben hat! Ist es Angst? … oder bewegte ihn der gleiche Gedanke wie mich, als ich gegen tha Bargas Pfähle sprach und lieber Wasser in der Grube sehen wollte?
    Die schöne Grube! Wir haben ganz umsonst gearbeitet und auch diese Nacht nicht

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