Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
alles, was ich mir leisten kann, bleibt mir nichts anderes übrig, als die Folgen meiner Dummheit zu tragen.«
Louise zitterte und weinte jetzt, und Amber konnte es ihr nicht verdenken. Schließlich wusste sie nur allzu gut, wie sie an ihrer Stelle empfunden hätte und wie knapp sie selbst diesem Elend entronnen war. Ihre alte Abneigung wich einem Gefühl der Solidarität.
»Steig ein«, wies sie Louise an und duldete keinen Widerspruch. Sobald Louise neben ihr im Bentley saß, trug Amber dem Fahrer auf: »Zur National Gallery, Harris.«
»Was um alles in der Welt sollen wir denn da?«
»Dort können wir reden, ohne dass uns jemand belauscht«, erklärte Amber.
Mehr als vier Stunden blieben sie dort, doch egal, welche Vorschläge Amber ihr machte, Louise beharrte störrisch darauf, dass sie das Kind, das sie unter dem Herzen trug, abtreiben wollte.
»Verstehst du denn nicht? Wenn ich weiterhin in der Gesellschaft akzeptiert werden will, ist das meine einzige Chance. Ohne einen Ehemann, der dem Kind einen Namen gibt, kann ich es nicht bekommen.«
Amber dachte an das Kind, das in ihr heranreifte, und hätte am liebsten geweint.
»Aber es muss doch einen Weg geben … irgendjemanden …«
»Nein, es gibt keinen Weg, und der einzige Jemand, der mir helfen kann, ist der Arzt, der aber erst tätig wird, wenn ich ihm hundert Pfund in die Hand gedrückt habe.« Sie lachte freudlos. »Leider habe ich nicht die geringste Ahnung, wie ich so einen Betrag auftreiben soll. Ich jedenfalls habe nicht so viel Geld. Und George Ponsonby, der mir eigentlich helfen sollte, hat seine Dienstboten angewiesen, mich nicht mehr vorzulassen, und meine Briefe oder Anrufe beantwortet er auch nicht. Außerdem steht der gute Georgie-Boy kurz davor, seine Verlobung mit einer reichen Kaufmannstochter bekannt zu geben.«
»Aber er trägt dir gegenüber doch eine Verantwortung«, protestierte Amber.
»Er findet das nicht; ich glaube, er meint, ich sollte den ehrenwerten Ausweg wählen und nicht nur das Kind, sondern mich gleich mit dazu umbringen.«
Amber wurde speiübel, und das nicht nur wegen Louises Bericht. Auch der bleiche Geist von Caroline Fitton Leghs tragischem Ende spukte durch ihre Gedanken.
In Louises Augen sammelten sich frische Tränen. »Ich würde ja das Familiendiadem verpfänden, doch das ist längst eine Fälschung; das echte wurde verkauft, damit mein Vater seine Spielschulden bezahlen konnte.«
Sie waren bei dem Bildnis von Lorenzo angelangt, vor dem Amber Robert kennengelernt hatte. Automatisch blieb sie stehen, um es zu betrachten. Würde sie sich nach allem, was sie jetzt wusste, anders verhalten, wenn sie die Uhr noch einmal zu jener ersten Begegnung mit Robert zurückdrehen könnte? Würde sie ihn stehen lassen? Beth hätte sie trotzdem wieder getroffen, und dadurch wäre es auch auf jeden Fall zu der Begegnung mit Jean-Philippe gekommen. Robert war ihr Retter, nicht ihr Feind. Ohne ihn wäre ihre Situation genauso schlimm wie Louises, wenn nicht noch schlimmer.
»Wie ich sehe, langweile ich dich«, erklärte Louise beleidigt.
»Nein, gar nicht«, entgegnete Amber wahrheitsgemäß. »Ich habe mir nur gerade gewünscht …«
»Was denn? Überhaupt, warum solltest du Mitgefühl mit mir haben? Beth hätte sicher keines.«
Darauf wusste Amber nichts zu erwidern; sie konnte weder Louises Kommentar über Beth abstreiten, noch konnte sie erklären, warum sie sehr wohl Mitgefühl mit ihr empfand.
»Es muss doch einen anderen Weg geben.«
»Was für einen anderen Weg? Die Leute zerreißen sich doch jetzt schon das Maul über mich.Wenn ich jetzt auch noch eine Weile verschwinde – selbst wenn es einen Ort gäbe, an den ich mich zurückziehen könnte -, könnte ich genauso gut eine Anzeige in die Klatschkolumne der Times setzen«, fuhr Louise verzweifelt auf.
»Ich gebe dir das Geld.«
Louise wurde kreidebleich und hielt sich an einem Stuhl fest, um sich abzustützen. Sie war so schockiert, dass Amber keinen Zweifel daran hatte, dass sie ein solches Angebot weder erwartet noch darauf spekuliert hatte.
»Du? Warum solltest du so etwas für mich tun?«
Louise wirkte, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen.
Amber ergriff ihre Hand, die Louise ihr kraftlos überließ. Eiskalt fühlte sie sich an. Natürlich konnte sie Louise unmöglich erklären, warum sie so mit ihr fühlte, konnte ihr nicht sagen, dass ihre Verzweiflung ihr erst richtig bewusst machte, was für ein Glück sie selbst gehabt hatte. Beinahe
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