Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
ungeachtet seines Titels«, sagte Blanche kühl. »Das dürfte wohl jedem bewusst sein. Du hast großes Glück.«
»Ach ja?« Zu spät erkannte Amber, dass die Schärfe in ihrer Stimme mehr verriet, als klug war. »Ich meine, ja, habe ich, nicht wahr?«, verbesserte sie sich.
Blanche runzelte die Stirn. In dem Augenblick, da sie Robert begegnet war – noch bevor sie die anerkennenden und respektvollen Blicke der Gäste bei dem Fest für die Frischvermählten gesehen hatte -, hatte sie gewusst, dass niemand unbeeindruckt von ihm bleiben konnte, und das nicht allein wegen seines Titels und seines Reichtums. Und sie hatte recht behalten.
Noch mehr jedoch war sie von Roberts Charme und seiner offensichtlichen Freundlichkeit entzückt gewesen. Es war augenscheinlich, wie sehr er Amber schätzte, und Blanche wusste, dass sie sich keine Sorgen um die Zukunft machen musste. Doch sie spürte auch, dass Amber nicht glücklich war. Sie war zu dünn, zu nervös, zu kratzbürstig und zornig, obwohl sie sich alle Mühe gab, diesen Zorn zu verbergen, und es war kein Wort über den Grund ihrer überstürzten Heirat gefallen.
»Amber, ich mache mir große Sorgen um dich.«
»Das tust du nicht. Du hast dir nie Sorgen um mich gemacht. Du wolltest, dass ich einen Aristokraten heirate. Also, das habe ich getan. Für dich ist die Sache damit erledigt.«
Bevor eine von ihnen mehr sagen konnte, kam Robert herein, was ihr Gespräch, sehr zu Ambers Erleichterung, abrupt beendete. Sie war froh, dass sie am nächsten Morgen nach London zurückkehren würden, doch enttäuscht, dass sie Jay nicht gesehen hatte. Sie hatte sich so auf ihn gefreut. Das Haus hatte verlassen gewirkt ohne ihn und Greg, obwohl sie einen Brief von Greg bekommen hatte, in dem er ihr zur Hochzeit alles Gute wünschte und sich dafür entschuldigte, dass er kein Geschenk geschickt hatte. Er sei, wie er erklärte, leider ziemlich knapp bei Kasse.
»Und es macht dir nichts aus, für Mrs Pickford zu arbeiten, wo das Gut deines Vaters ganz in der Nähe liegt?«, fragte Lydia. »Nein, warum sollte es?«, antwortete Jay und streckte die Hand aus, um ihr über den Zauntritt zu helfen.
Lydias Großmutter wohnte in demselben kleinen Marktflecken wie seine Eltern, und sie kannten sich fast ihr Leben lang, obwohl Jay sie einige Jahre nicht gesehen hatte.
Ihre augenfällige Bewunderung für ihn hätte willkommener Balsam für Jays schmerzendes Herz sein müssen. Er hätte sich auch darüber gefreut, wenn er bei Vernunft gewesen wäre, doch wer war schon bei Vernunft, wenn er verliebt war? Lydia war nicht Amber, und Jay fand Lydias Eifer und ihre plötzlichen Stimmungsschwankungen zwischen fast überreizter Fröhlichkeit und großer Verzweiflung unangenehm, obschon sie ihm auch leidtat.
Sie hatte ihm erzählt, dass die zweite Ehe ihres Vaters nach dem Tod ihrer Mutter sie sehr unglücklich gemacht hatte und dass die Feindseligkeit, die ihre Stiefmutter ihr gegenüber an den Tag legte, sie sehr bedrückte. Zögernd hatte sie ihm gestanden, dass ihre Stiefmutter sie nicht gut behandelte und einen Keil zwischen sie und ihren Vater treiben wollte, und natürlich hatte Jay da Mitleid mit ihr gehabt.
Sie hatten sich heute zufällig getroffen, als Jay einen Spaziergang gemacht hatte, und obwohl er zu höflich war, es zu zeigen, wäre Jay lieber allein gewesen.
»Ich muss zurück, sonst langweilst du dich noch mit mir«, sagte Lydia jetzt.
»Nicht doch«, protestierte Jay, mehr, weil er wusste, dass sie es erwartete, als dass es seinen Gefühlen entsprach.
»Begleitest du mich? Mir ist nie so recht wohl, wenn ich allein durch den Wald gehe.«
»Natürlich«, versicherte Jay ihr und fiel in ihre Schritte ein.
Sie hatten gutes Wetter, auch wenn es vielleicht ein wenig zu warm war, um wirklich weit zu wandern, und als sie das Haus von Lydias Großmutter erreichten und Lydia ihm etwas Kaltes zu trinken anbot, bevor er sich auf den Heimweg machte, nahm Jay froh an und folgte ihr dankbar in die Küche des adretten Hauses.
Er war ein wenig überrascht, als Lydia einen Stuhl vor einen Schrank zog und unbedingt hinaufsteigen wollte, um ein Glas herabzuholen, obwohl er angeboten hatte, er könne das gerne für sie tun. Sie plapperte die ganze Zeit fröhlich weiter. Ihr unnatürlich munteres Betragen ermüdete Jay, und er hätte sich gerne verabschiedet.
»Du kannst mir gerne den Stuhl festhalten«, Lydia fing an zu kichern, »aber du musst versprechen, nicht auf meine Beine zu
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