Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Jay.
Darunter lagen noch zwei Gemälde. Das erste, Die Tochter des Seidenhändlers , kannte sie, doch das zweite nicht. Ehrfürchtig erstarrt ob seiner Schönheit, fuhr Amber mit dem Finger die Falten der bernsteinfarbenen Seide nach, die so lebendig waren, als wären sie echt, und dabei brannten Tränen in ihren Augen. Beide Gemälde waren unglaublich, doch dieses neue war ein wahres Kunstwerk.
Sie wollte die Bilder gerade zurück in die Kiste legen, als ihr auffiel, dass sich darin noch etwas befand, sorgsam in dickes braunes Papier eingewickelt und doch so leicht, dass es kein Bild sein konnte. Ihre Hände zitterten, als sie das Paket öffnete. Sorgfältig eingeschlagen in Seidenpapier, fand sie darin das Stück kostbarer antiker Seide, mit dem Jean-Phi lippe sie zum ersten Mal gemalt hatte. Dabei lag ein Zettel, auf dem stand: »Das ist von mir für dich, und es wurde bezahlt, aber frag nicht, in welcher Münze.«
»Was hast du gemacht?« Roberts Stimme verriet Zorn und quälenden Schmerz.
Das Medikament, das der Arzt ihm verabreicht hatte, hatte ihn einen ganzen Tag schlafen lassen, doch jetzt, da er wach war, hatte er Amber in seine Kabine rufen lassen und eine Erklärung verlangt.
Doch als sie ihm diese gegeben hatte, hatte er sich geweigert – und weigerte sich auch weiterhin – zu akzeptieren, dass sie in seinem ureigenen Interesse gehandelt hatte. Genau wie sie befürchtet hatte.
»Ich habe getan, was ich für das Beste hielt«, versicherte Amber ihm noch einmal.
»Du hast mich zerstört. Du hast mein Leben zerstört. Ich habe kein Leben ohne Otto. Ich will ohne ihn kein Leben haben«, sagte Robert und schob sich an ihr vorbei, um zur Tür zu gehen.
»Wohin willst du?«, fragte Amber besorgt.
»Ich will zum Kapitän, um ihm zu sagen, dass er umkehren soll.«
»Nein, Robert, das kannst du nicht«, protestierte Amber. »Du musst begreifen, was passiert, wenn du das tust.«
»Nein. Du musst begreifen, was mit mir passiert, wenn ich es nicht tue. Ich glaube, ich hasse dich mehr, als ich es je für möglich gehalten habe, jemanden zu hassen.«
Seine Worte waren wie seine Bewegungen wild und hektisch, doch obwohl Amber den Grund dafür kannte, verletzte es sie.
»Was ich getan habe, habe ich nur um deinetwillen getan, Robert. Ich weiß, dass du das nicht akzeptieren kannst, aber irgendwann …«
»Nein! Niemals werde ich akzeptieren, was du getan hast. Verschwinde aus meinem Leben.«
»Robert …«
»Es ist mir ernst, Amber. Unsere Ehe ist zu Ende. Wenn Luc nicht wäre … aber ich möchte nicht, dass er darunter leidet. Ich werde mich natürlich um die Trennung kümmern, aber erst, wenn ich mich davon überzeugt habe, dass Luc richtig darauf vorbereitet wurde und versteht, dass es nichts an der Beziehung zwischen ihm und mir und an meiner Liebe zu ihm ändert.
Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst, ich muss zum Kapitän gehen und ihm sagen, dass er wenden soll. Nichts und niemand wird mich daran hindern, mit Otto zusammen zu sein. Ich muss zu ihm. Ich ertrage es nicht …« Er unterbrach sich mitten im Satz, wandte sich von ihr ab und wankte mit schweißnasser Stirn und kreidebleichem Gesicht ins Bad.
In dem Augenblick, da er die Tür hinter sich geschlossen hatte, lief Amber aus der Kabine und schloss mit zitternden Händen die Tür hinter sich ab.
Dann ging sie den Kapitän suchen und sagte rasch: »Kapitän Pierce, ich fürchte, meinem Mann geht es nicht gut. Er muss in seiner Kabine bleiben, bis wir in England sind, und niemand darf in seine Nähe, außer sein Kammerdiener und ich.«
»Sehr wohl, Euer Gnaden.«
»Ich muss ein Telegramm senden, an … an Duff Cooper bei der Admiralität.« Amber tat nur äußerst ungern etwas hinter Roberts Rücken, doch die Sache war zu ernst, um nicht um die Hilfe zu bitten, die sie verzweifelt brauchte.
»Was möchten Sie mitteilen, Euer Gnaden?«
»Bitte telegrafieren Sie, dass … dass es sehr wichtig ist, dass er zur Jacht kommt, sobald wir in England sind. Bitte sagen Sie ihm auch, dass es eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit ist.«
Sie brachte es nicht über sich, den Kapitän anzusehen.
»Sehr wohl, Euer Gnaden.«
Jetzt würde Robert ihr nicht mehr glauben, sosehr sie auch versuchen würde, ihm die Wahrheit begreiflich zu machen, und sie fand es abscheulich, was sie ihm antun musste.
Vierter Teil
45
Weihnachten 1937
Das also war es. Sie hatte es natürlich gewusst, die Anzeichen waren unverkennbar gewesen,
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