Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Arzt. Wir setzen Segel, sobald ich unseren Sohn geholt habe.«
»Sehr wohl, Euer Gnaden.«
Luc fand es aufregend, mitten in der Nacht geweckt zu werden und gesagt zu bekommen, sie gingen jetzt zur Jacht. Gladys hingegen war weniger erfreut.
»Seine Gnaden schien bei guter Gesundheit, als er heute Abend das Haus verlassen hat«, meinte sie.
»Ja, es hat ihn ganz plötzlich erwischt. Zum Glück war auf der Gesellschaft ein Arzt zugegen. Er hat gesagt, der Herzog müsse sich unbedingt zu Hause in England Hilfe holen.«
»Nun, ich muss sagen, unsere englischen Ärzte sind auch einmalig«, erklärte Gladys besänftigt.
Endlich war alles geschafft. Die Koffer waren an Bord, Amber und Luc ebenfalls, und das Ufer wich langsam zurück, während das Schiff Richtung England Fahrt aufnahm.
Robert lag bewusstlos in seiner Koje und atmete röchelnd.
Amber ließ sich auf einem Stuhl nieder. Sie hatte Angst, Robert könnte übel werden und er würde womöglich an seinem Erbrochenen ersticken, wenn man ihn allein ließ.
Sie betete nur, dass sie das Richtige getan hatte.
44
»Euer Gnaden, was sollen wir mit der Kiste machen, die an Bord gebracht wurde, bevor wir Frankreich verlassen haben?«
»Was für eine Kiste?«
»Ein Franzose hat sie an Bord gehievt. Er hat gesagt, dass sie Ihnen persönlich übergeben werden soll. Sollen wir sie hinauf in die Hauptkajüte bringen?«
Es war Morgen, und es war leichter, darüber nachzudenken, was der Kapitän gerade sagte, als sich Sorgen darüber zu machen, wie sie Robert erklären sollte, was sie getan hatte und warum, sobald er sich von dem Schlafmittel vollkommen erholt hatte. Amber nickte müde.
»Ja, bitte, Kapitän. Ich schaue wohl besser mal, was es ist.«
So, wie sich die Armmuskeln der beiden Crewmitglieder anspannten, die sie in den Salon trugen, war die Kiste nicht nur groß, sondern auch schwer. Sie stellten sie auf dem Teppich ab und öffneten den Deckel, der festgenagelt gewesen war.
Amber wartete, bis sie gegangen waren, bevor sie hineinschaute.
Es sah aus, als wären es Leinwände, die zum Schutz in weiße Laken eingeschlagen waren, und obenauf lag ein in Jean-Philippes ausladender Handschrift an sie adressierter Brief.
Amber faltete ihn auseinander und las.
Meine liebste ehemalige Jungfrau, manche Dinge sind nicht für die Augen anderer bestimmt, und obwohl ich diese Bilder ursprünglich gemalt habe, um sie auszustellen, habe ich es am Ende nicht über mich gebracht. Vielleicht hätte ich sie zerstören sollen, doch wie hätte ich das ertragen sollen, wo sie alles waren, was mir von Dir geblieben war, nachdem ich in meiner dummen Arroganz unsere Liebe zerstört hatte?
Ich habe diese Bilder von Dir behalten und stets großen Trost darin gefunden, doch jetzt sind sie mein Geschenk an Dich, zusammen mit dem, wie ich glaube, besten Gemälde, das ich je gemalt habe.
Immer Dein
Jean-Philippe
Langsam und vorsichtig packte Amber die erste Leinwand aus, ihr Atem beschleunigte sich, und sie wurde ganz rot bei dem, was sie sah.
Dann fummelte sie ungeduldig an den schützenden Laken, und sie holte alle sechs Leinwände aus der Kiste und legte sie nebeneinander. Sie erzählten die Geschichte ihres körperlichen und emotionalen Erwachens. Schockierender als ihr entblößter Körper war jedoch ihre Verletzlichkeit, die Jean-Philippe entblößt und mit Künstlerauge und Pinsel eingefangen hatte. Sie strahlte aus den Gemälden, mehr noch als die Nacktheit ihres Körpers, der im Licht jenes lange vergangenen Sommers in Südfrankreich badete. Sie war sowohl ein Geschenk als auch ein Fluch. Jean-Philippe war ein unvergleichlich begnadeter Künstler, und wenn er irgendeine andere junge Frau gemalt hätte, hätte sie die Qualität seiner Arbeit bewundern können. Doch das hatte er nicht, er hatte sie gemalt und ihre Gefühle mit einer solchen Intimität offenbart, dass sie den Anblick schier nicht ertrug. Diese junge Frau gab es nicht mehr. Sie hatte sie hinter sich zurückgelassen, als sie vor Jean-Phi lippe weggelaufen war, weil er sie belogen hatte. Diese junge Frau war jetzt Lucs Mutter und Roberts Frau. Sie war die Frau geworden, die in diesem Sommer in Jean-Philippes Armen erkannt hatte, was wahre Liebe wirklich war und für wen sie sie empfand. Und das war nicht Jean-Phi lippe.
Sie liebte ihren Sohn – als Mutter -, sie liebte ihren Mann – als Freundin -, doch ihre Liebe als Frau hatte immer nur einem Mann gehört, jetzt und für immer. Und dieser Mann war
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