Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Herzen trug. Sie hatte gesehen und gewusst, dass seine Liebe zu ihr genauso stark war wie ihre Liebe zu ihm. Sie verdienten es doch sicher, zusammen zu sein und diese Liebe zu leben. Sie hatten so viel gemeinsam, sie konnten so viel tun, für das Gut, für die Fabrik, für ihre Kinder. Alles in ihr sehnte sich nach ihm und nach dieser Zukunft.
Doch sie hatte andere Verpflichtungen: einen Sohn, der den Mann liebte, den er für seinen Vater hielt, ein Neugeborenes, das, wenn sie ihrer Ehe den Rücken kehrte, keinen Vater haben würde. Sie selbst würde von bösen Zungen gebrandmarkt, so wie Cassandra sie schon gebrandmarkt hatte, und Jays Töchter würden vielleicht das Gefühl haben, Amber hätte sie um ihre Mutter gebracht, und würden sich ihr deswegen nicht zuwenden können.
Um ihr eigenes Glück zu verfolgen, würde sie sehr viele Menschen ins Unglück stoßen.
Der goldene Weg zu Liebe und Erfüllung glitzerte unter ihren Tränen, schimmerte verlockend. Amber betrachtete ihn voller Sehnsucht und verschloss dann die Augen davor.
»Ja, Robert«, sagte sie. »Ich will.«
»Oh, Amber, warte nur, bis du unsere Tochter siehst.« Ein breites Lächeln umspielte Roberts Mund. »Ich habe mich ja schon für einen liebevollen Vater gehalten, als Luc geboren wurde, doch jetzt merke ich, dass ein Mann nicht weiß, was Vaterschaft bedeutet, solange er nicht der vernarrte Vater einer Tochter ist. Sie ist bezaubernd, Amber, in jeder Hinsicht entzückend, anbetungswürdig, und sie kann mich jetzt schon um den kleinen Finger wickeln. Ich schwöre, heute Morgen hat sie mich angelächelt.«
Amber lauschte seiner Lobrede, während ihr Herz schwer war wie ein Stein und sie mit seinem Gewicht schier erdrückte.
Emerald Olga Devenish wurde vier Monate später getauft, kurz nachdem Chamberlain nach England zurückgekehrt war und erklärt hatte, er habe »den Frieden für unsere Zeit« gesichert. Den zweiten Namen ihrer Tochter hatte Amber zu Ehren ihrer russischen Vorfahren gewählt.
Alle sagten, mit ihren dunklen Locken, langen Wimpern und den großen Augen, die bereits ahnen ließen, dass sie einst die Farbe ihres Monatssteins haben würden, sei sie das hübscheste Kind, das sie je gesehen hätten.
Entschlossen wie eine Kaiserin gebot sie über die Aufmerksamkeit ihres schwärmerischen Hofstaats. Robert war sie von ganzem Herzen zugetan, doch Amber wies sie von sich.
Das erste Mal, als Amber sie hochnahm, nachdem sie ins Haus ihrer Großmutter zurückgekehrt war, wurde Emerald in ihren Armen so starr, dass Amber fürchtete, sie hätte einen Anfall. »Sie dürfen sich nicht aufregen. Das liegt nur daran, dass das Baby Sie noch nicht kennt«, sagte das tüchtige Kindermädchen, das Blanche eingestellt hatte, forsch zu Amber und nahm ihr das Baby geschickt aus den Armen.
Doch Emerald kannte sie, davon war Amber überzeugt. Sie kannte sie und wies sie ab. Lag es daran, dass sie wusste, dass Amber sie nicht gewollt hatte? Hatte sie das in den langen Tagen und Wochen vor ihrer Geburt gespürt? Aber als sie befürchtet hatte, Lydia könnte ihr etwas antun, hatte sie sie doch geliebt. Und diese Liebe war noch gewachsen, als sie sie zur Welt gebracht hatte.
Nachts, wenn Amber hätte schlafen sollen, um wieder zu Kräften zu kommen, ging sie hinauf in den Kindertrakt und schaute in Emeralds Wiege, sah ihr beim Schlafen zu und sehnte sich danach, sie in die Arme zu nehmen. Doch sooft sie der Versuchung nachgab, wachte das Baby auf und heulte seine Abneigung gegen die mütterlichen Arme in die Welt. Gab es für eine Mutter etwas Schmerzlicheres, als von ihrem Kind abgewiesen zu werden?
Amber versuchte, nicht zu zeigen, was sie empfand, wenn Emerald anderen die Ärmchen entgegenstreckte, um hochgehoben zu werden, und ihnen das Lächeln schenkte, dass sie ihrer Mutter versagte.
Es schien Amber, sie sei der einzige Mensch, den ihr Kind abwies, doch es gab noch jemanden, den es nicht mochte: Rose. Die arme kleine Rose musste nur in Emeralds Blickfeld geraten, damit das Baby zu weinen anfing.
Blanche machte »Tz, tz, tz«, doch Amber bemerkte, wie entzückt ihre Großmutter insgeheim darüber war, dass ihre Gesellschaft der Kleinen lieber war als die ihrer Mutter. Im Laufe der Wochen fand Amber, dass Emerald viel von Blanche an sich hatte und dass in ihrem Blick zuweilen dieselbe kalte Härte lag, die Amber als Kind so oft in Blanches Augen gesehen hatte.
Sie wollte Beth und Diana Cooper bitten, Emeralds Patentanten zu werden,
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