Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Lydia nicht zeigen. Wo war Jay, warum kam er nicht? O Gott, betete sie innerlich, bitte lass ihn kommen, bitte schick uns jemanden, der uns rettet. Rette mein Baby. Rette ihre Babys.
Eines der Mädchen stöhnte plötzlich und bewegte sich unter der Bettdecke, augenscheinlich vor Schmerz.
»Ihr wird übel«, sagte Amber zu Lydia. »Wir müssen sie auf die Seite drehen, sonst könnte sie ersticken.«
Sie ging instinktiv zum Bett und wollte Ella auf die Seite drehen, doch da schrie Lydia: »Nein, fassen Sie sie nicht an! Sie dürfen sie nicht anfassen!«
Sie stürzte sich so schnell mit dem Messer auf Amber, dass Amber kaum mehr tun konnte, als den Arm auszustrecken, um sie abzuwehren, während sie gleichzeitig versuchte, ihr auszuweichen.
Sie spürte, wie ihr das Messer brennend in den Arm fuhr, und dann kam der Schmerz, rasch und heftig.
Das Baby trat, als fürchtete es um sein Leben, und Amber wurde ganz schwach, als sie das Blut an ihrem Arm hinunterrinnen sah. Ihr schwerfälliger schwangerer Körper wollte den Befehlen ihres Gehirns nicht gehorchen.
»Blut«, flüsterte Lydia. »Blut.« Sie hob erneut den Arm.
Amber war gefangen zwischen dem Bett und der Wand, doch ihre eigene Sicherheit zählte nicht mehr. Alles, woran sie denken konnte, war ihr Baby, das Leben, das sie schützen musste. Nichts anderes zählte – nichts und niemand, am wenigsten sie selbst.
Sie hörte Schritte auf der Treppe, und dann rief Jay ihren Namen. Ihren Namen, nicht Lydias. Mit letzter Kraft rief sie um Hilfe und versuchte, Lydia wegzuschieben. Amber sah das Messer auf ihren Bauch zuschießen; sie hob verzweifelt den Arm, um ihr Baby zu schützen, reckte sich, spürte, wie es ihr in die Hand und dann den Arm hinunterfuhr. Sie roch das warme Blut.
Mit einem Bersten flog die Tür auf, und Jay stand da.
Jay – sie hatte seinen Namen nur geflüstert, doch er hatte sie gehört. Er sah sie an, und sie sah das Entsetzen und den Schmerz in seinem Blick.
Er kam herein und wollte Lydia packen, doch die duckte sich an ihm vorbei.
Die Dunkelheit hüllte sie ein, und mit der Dunkelheit spürte sie die ersten Wehen.
Sie legte die Hände schützend auf ihren Bauch.
»Nein«, protestierte sie. »Nicht, noch nicht. Es ist zu früh.«
Von draußen hörte sie, wie ein Automobil kreischend zum Halten kam.
Der Schmerz kam in heißen Wellen, die sich aufbauten und über sie hinwegrollten und sie im Todeskampf immer tiefer hinunterzogen.
Das war ganz anders als damals, als sie Luc zur Welt gebracht hatte. Diesmal schienen ihr Körper und das Kind darin miteinander Krieg zu führen und sich zu bekämpfen: Ihr Körper zögerte, sich auf die Geburt einzulassen, und das Kind verlangte energisch danach, geboren zu werden.
Als sie gesagt hatte, sie könne in Jays Haus nicht gebären, hatte man sie zurück nach Denham Place gebracht, obwohl sie sich kaum an die Fahrt erinnerte.
Der Tag war verblasst und von der Nacht abgelöst worden, und immer noch nahmen die Schmerzen kein Ende. Zuweilen waren sie so stark, dass Amber das Bewusstsein verlor.
Sie sah ihre Großmutter mit entschlossener, strenger Miene über sich stehen, sie sah Dr. Brookes und spürte die Sorge hinter seiner ruhigen Freundlichkeit.
In den finstersten Stunden der Nacht, als der Schmerz ihren Körper erschöpft und schwach und ausgelaugt zurückgelassen hatte, glaubte sie im Schatten am Fußende des Bettes einen Mann stehen zu sehen. Sie spürte, wie seine Liebe sie zärtlich und liebevoll einhüllte. Da weinte sie, flehte ihn an, sie nicht zu verlassen, sondern sie mitzunehmen. Ihre Schluchzer wurden von der brennenden Schmerzwelle erstickt, die auf sie zurollte. Sie sah Lydias verzerrtes Gesicht, das Messer in ihrer Hand; sie spürte, wie es auf sie zustieß. Sie durfte nicht zulassen, dass Lydia ihr Baby verletzte. Sie musste es schützen. Es durfte noch nicht geboren werden. Es war zu früh und zu gefährlich, doch Lydias Messer riss an ihrem Fleisch. Sie roch ihr eigenes warmes Blut. Der Schmerz schwoll an und packte sie. Sie hörte jemanden in Todesqualen schreien.
»Pressen, Amber. Press jetzt.«
Ihre Großmutter beugte sich über sie und packte ihren Arm.
»Nein«, protestierte sie, doch es war zu spät, ihr Körper folgte der Natur, sie konnte ihr Kind nicht länger schützen. Es war zu spät.
Sie legten es – sie, denn es war ein Mädchen – auf ihren Bauch, klein und wächsern. Leblos.
Sie wollte es berühren, doch als sie sich bewegte, schwappte eine
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