Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Amber dazu nicht sagen.
Gegen Ende der zweiten Woche in Juan-les-Pins kamen Alistair und seine Eltern, die en route nach Florenz waren, und es wurde bald offensichtlich, dass beide Elternpaare auf eine Verbindung zwischen ihren Kindern hofften. Beth ließ sich entzückt von Stunde zu Stunde treiben, und Amber überraschte es nicht, dass Alistair, statt mit seinen Eltern nach Florenz weiterzureisen, als Gast der Levingtons in Juan-les-Pins blieb.
Wenn sie jetzt zu viert ausgingen, fuhr Alistair Beth, um mit ihr allein zu sein, und Henry und Amber blieben sich selbst überlassen. Amber wollte nichts sagen – schließlich war Henry der Sohn der Levingtons und Beths Bruder -, doch sein Betragen ihr gegenüber wurde ihr immer unangenehmer. Er hatte es sich angewöhnt, stumm und überraschend aufzutauchen, sobald sie irgendwo allein war, fast als hätte er sie beobachtet. Und wenn er mit ihr zusammen war, trat er unbehaglich nah an sie heran und stierte sie an.
Als sie eines Abends nach einer Party im Hôtel du Cap zur Villa zurückgekehrt waren, packte Henry Ambers Hand – statt ihr zu erlauben, ins Haus zu gehen – und bestand darauf, dass sie mit ihm durch den Garten der Villa in die Dunkelheit spazierte, wo der formal angelegte Teil endete und die Treppe zum Strand hinunter begann.
Er war den ganzen Abend in seltsamer Stimmung gewesen, hatte finster dreingeblickt und war wütend geworden, wenn einer der jungen Franzosen mit ihr geflirtet hatte. Amber wäre lieber gleich ins Haus gegangen. Henry hatte mehrere Bloodand-Sand-Cocktails getrunken, hatte die Mischung aus Whisky, Orangensaft, Cherry Brandy und Wermut in wenigen raschen Schlucken hinuntergekippt, bevor er nach einem weiteren verlangte, und sie hatte Angst gehabt, weil er auf dem Heimweg ziemlich Gas gegeben hatte.
»Ich finde, wir sollten reingehen.«
»Noch nicht.«
Henry hielt immer noch ihre Hand, und bevor ihr bewusst wurde, was er vorhatte, packte er sie, schob sie rücklings gegen eine niedrige Wand und versuchte sie zu küssen.
Amber drehte das Gesicht weg, sodass seine Lippen nur ihre Wange berührten. Aufgeschreckt und empört über sein Benehmen, schubste sie ihn weg. Sie war erleichtert, als er sie losließ, und eilte zurück zur Villa. Sie sah Jean-Phi lippe erst, als es zu spät war und er vor ihr stand und ihr den Weg versperrte.
»Die Jungfrau läuft also vor ihrem Möchtegernliebhaber davon, weil sie nicht geküsst werden will«, höhnte er. »Der arme Henry, er ist für dich entbrannt, aber du würdigst ihn keines Blickes.«
»Lassen Sie mich vorbei.«
Irgendwie gelang es Amber, ihm auszuweichen, und sie floh zur Villa. Allmählich ging ihr auf, dass nicht alle Männer vom selben Schlag waren wie ihr Vater, wie sie sich in aller Unschuld eingebildet hatte. Selbst Greg war von der Lust übermannt worden. Die Gewalttätigkeit und der Zorn von Henrys Umarmung hatten ihr Angst eingejagt, und Jean-Phi lippes Gespött gab ihr das Gefühl, es ginge ihr besser, wenn sie mit dem männlichen Geschlecht überhaupt nichts zu tun hätte.
Als Henry ihr am nächsten Morgen beim Frühstück gegenübersaß und sie die ganze Zeit wortlos anstarrte, empfand Amber Unbehagen und ein wenig Angst. Würde er etwas zu seinen Eltern sagen? Sie vielleicht aus reiner Gehässigkeit bitten, Amber nach Hause zu schicken? Sie hoffte nicht.
Eine Weile später ging sie durch den Garten, als sie Lady Levington auf sich zukommen sah.
»Amber, meine Liebe, da sind Sie. Gut«, begrüßte ihre Gastgeberin sie. »Kommen Sie und setzen Sie sich einen Augenblick mit mir hin. Ich würde gerne etwas mit Ihnen besprechen.«
Gehorsam nahm Amber auf der Gartenbank neben Beths Mutter Platz.
»Lord Levington und ich sind besorgt, dass Henry Sie mit der Zeit ein wenig zu gern gewinnen könnte. Junge Männer von Henrys Natur neigen dazu, sich einzubilden, sie wären verliebt, und Sie sind eine außergewöhnlich hübsche junge Frau.« Lady Levington stieß einen leisen Seufzer aus, bei dem Amber Schuldgefühle bekam, als hätte sie etwas falsch gemacht.
»Es ist unglücklich, dass Sie beide so zusammengeworfen wurden«, fuhr Lady Levington fort. »Ich hätte das schon früher erkennen sollen. Sie sind eine charmante junge Frau, Amber, und ich weiß, dass Sie viel zu vernünftig sind, um nicht zu verstehen, dass Lord Levington und ich für Henrys Zukunft … gewisse Hoffnungen hegen.«
Amber wusste genau, worauf sie anspielte: eine passende junge Frau aus guten
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