Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Verhältnissen. Kein Mädchen wie sie. Ambers Gesicht glühte vor Demütigung.
»Ich weiß natürlich, dass Sie die jugendliche Schwärmerei eines dummen jungen Mannes nicht missverstehen, Amber, und das habe ich Lord Levington auch gesagt.«
»Ich habe in Henry nie etwas anderes gesehen als Beths Bruder«, erklärte Amber ihr ruhig.
»Natürlich.« Lady Levington wirkte jetzt entspannter. Sie tätschelte Ambers Hand und lächelte sie an. »Ich möchte nur, dass Sie verstehen, warum Lord Levington und ich das Gefühl haben, es wäre besser, wenn Sie beide nicht mehr so viel Umgang miteinander hätten.«
In Ambers Magen machte sich ein klammes, unangenehmes Gefühl breit. »Sie schicken mich also nach Hause?«
»O nein, meine Liebe, keineswegs, selbstverständlich nicht«, versicherte Lady Levington ihr sofort. »Nein, nichts dergleichen, denn wie ich schon sagte, wir machen Ihnen keine Vorwürfe. Es geht nur darum, eine Sache im Keim zu ersticken, die schwierig werden könnte. In zwei Tagen fährt Lord Levington zu einigen Freunden, die ihn zum Segeln auf ihre Jacht eingeladen haben, und Henry wird ihn begleiten. Wenn sie zurückkehren, wird Henry mit Beth nach Florenz reisen, wo sie bei Alistair und dessen Familie wohnen wird.« Sie tätschelte noch einmal Ambers Hand. »Ich freue mich sehr auf Ihre Gesellschaft, wenn Beth und mein Mann nicht da sind. Noch ein Wort der Warnung: Es könnte sein, dass Henry Ihnen vorschlägt, dass Sie miteinander korrespondieren.«
»Ich werde ihm sagen, dass ich das nicht möchte«, sagte Amber ruhig.
»Sehen Sie, ich habe doch gewusst, dass Sie das verstehen würden. Ich bin froh, dass wir uns einig geworden sind. Was für ein schöner Morgen.« Die Gräfin lächelte jetzt übers ganze Gesicht.
»Ja.« Amber hatte das Gefühl, als klebte ihr die Zunge am Gaumen. Es war dumm, so aus der Fassung zu geraten. Natürlich wollten Lord und Lady Levington sie nicht als Schwiegertochter. Und es war ihr auch nie in den Sinn gekommen, sich in dieser Rolle zu sehen, nicht für eine Minute. Es war nur so, dass Lady Levingtons Worte ihr etwas vor Augen geführt hatten, was wehtat. Sie hatte geglaubt, die Gräfin möge sie und ihr läge etwas an ihr und der Klassenunterschied spiele keine Rolle. Doch da hatte sie sich nur etwas vorgemacht, und jetzt fühlte sie sich gedemütigt und verraten – von sich selbst, weil sie so blind gewesen war. Beths Mutter war in Wirklichkeit genau wie Lady Rutland und deren Freundinnen, sie scherte sich nur um Äußerlichkeiten und Konventionen.
Lady Levington war ins Haus zurückgegangen, doch Amber brachte es nicht über sich hineinzugehen. Noch nicht. Sie stand auf und schlenderte langsam durch den Garten. Ihre Gedanken lasteten schwer auf ihr, und sie ging die Steintreppe hinunter, die zum privaten Strand der Villa führte. Dort konnte sie wenigstens allein sein. So früh am Tag waren die Kindermädchen noch nicht mit den Kindern zum Spielen hinuntergegangen.
In Trübsal versunken, ging Amber mit gesenktem Kopf den Strand entlang, die Morgensonne warm auf dem Rücken. Sie und Henry hatten eigentlich am späten Vormittag nach Antibes fahren wollen. Daraus würde jetzt natürlich nichts werden.
Sie schaute auf, blinzelte, um die Tränen zu vertreiben, und erstarrte, denn ihre Aufmerksamkeit wurde von einer Bewegung im Meer gefesselt, einem Arm, braun und muskulös, der die schäumenden Wellen durchschnitt, dann noch einer, ein Kopf mit dichtem Haar, breite Schultern, die aufblitzten, wo die Sonne auf nasse Haut traf.
Ohne nachzudenken, trat Amber zurück in den Schatten des felsigen Gesteins, das von der Klippe abgebrochen war.
Der Künstler schwamm. Das Gästehaus hatte einen eigenen Strandzugang, das hatte er Lady Levington erzählt. Er stand auf, und als er sich schüttelte, spritzte das Wasser in alle Richtungen. Auf seiner Brust wuchs dichtes, dunkles Haar. Es verjüngte sich nach unten über seinen flachen Bauch, als er nackt aus dem Meer schritt. Nackt …
Amber wollte sich umdrehen und weglaufen, doch sie konnte nicht. Sie war wie gelähmt, zitterte vor Schock. Männliche Statuen sahen nicht so aus, hatten keine dichte, dunkle Körperbehaarung und starke Oberschenkel, die das, was nicht von dem Dickicht aus Haaren verborgen wurde, beim Gehen schaukeln und hüpfen ließen und ihre Aufmerksamkeit auf seine urwüchsige Sexualität lenkten, obwohl sie verzweifelt den Blick abwenden wollte.
Er hatte den Sand erreicht und wandte sich von ihr ab,
Weitere Kostenlose Bücher