Der Glanz der Welt
Er hatte mir ein paar Dinge erzählt und wollte von mir wissen, wie ich denn den Wahrheitsgehalt einschätzen würde. Hoch, hatte ich gesagt, was heißt hoch, extrem hoch, und dass ich ihm dankbar wäre, wenn er weiter die Augen und Ohren offen halten würde. Ich sei ihm für jede zusätzliche Information dankbar. Mit Gerüchten allein ließe sich nicht viel anfangen. Hierzulande laufen die Dinge aber genau so, wie die Gerüchte es erzählen. Wenn die drei richtigen Leute an die Adria fahren und sich dort auf einer Yacht treffen, sagen wir mal: ein damals Noch-Finanzminister, der Schnittling und ein Großspekulant, da wäre es naiv zu glauben, die würden Goldfische angeln oder mit willigen Models vögeln. Das vielleicht auch. Aber das war nur die Nebenwirkung, die auf der Packungsbeilage stand.
Und jetzt hatte man den Pirchmoser von höchster Stelle her auflaufen lassen. Es musste etwas geschehen.
„Entschuldigt mich kurz“, sagte ich , „ich muss dringend telefonieren.“ Die anderen drei sahen mich fragend an: „Leute, es ist ein Gebot der Höflichkeit, seinen Privatkram nicht vor anderen auszubreiten. Das wisst ihr doch!“ Ich ging immer hinaus auf die Straße telefonieren, wenn ich in einem Lokal war. Draußen suchte ich mir irgendeine Nische, einen verschwiegenen Hauseingang mit gutem Blick auf die Umgebung, man will ja nicht zufällig abgehört werden, keine zufälligen Mithörer haben. Drei Meter neben dem Giacomos war eine solche ideale TelefonierNische. Man stand halbwegs geschützt vor Wind und Regen, als ob der Architekt vor hundert Jahren schon geahnt hätte, dass dereinst die Handys wie eine Seuche über die Menschheit kommen würden. Man hatte die ganze Straße mehr als hundert Meter in beide Richtungenim Blick, und von hinten konnte niemand kommen oder lauschen, weil die Nische in die Mauer eingepasst war, keine Tür dahinter, nichts. Nur Mauer. Aber wahrscheinlich war es nicht Voraussicht gewesen, sondern es stand einst vielleicht eine Statue drinnen. Möglicherweise war es bloß eine sinnlose Spielerei des Erbauers gewesen. Form without function.
Ich drückte mich also in die Nische und holte mein Handy heraus. Anruf beim Herrn Schefredaktör.
„Hallo, du, ich bin’s“, antwortete ich auf das brummiggrantige, langgezogene „Jaaaaaa, haaloooooooo?“ und verließ mich darauf, dass er meine Stimme erkannte. Die Nummernkennung hatte ich nämlich abgeschaltet. Mir war das lieber so. Stand der Name auf dem Display, konnten die Angerufenen guten Gewissens entscheiden, ob sie abhoben oder nicht. Aber wenn da kein Name stand, schwierige Entscheidung: ein Keiler, die Polizei, die große, noch unbekannte Liebe deines Lebens? Abheben oder nicht abheben? Sein oder Nichtsein? Keine Frage!
Bei Schefredaktör war es eindeutig so, dass er eher abhob, wenn er meinen Namen nicht sah. Ich nervte ihn. Er hasste meine Kommentare und musste sie trotzdem drucken. Höhere Gewalt sozusagen. Aber wenn kein Name auf dem Display erschien, hob er immer ab. Sicherheitshalber. Man wusste schließlich nicht: ein anonymer Informant, Auflageplus 10.000 Stück, oder sonst eine Information, durch die man der Konkurrenz einen Mord voraus war, einen Rücktritt, einen Skandal. Man musste immer ein wenig voraus sein, wenn man die Auflage halten wollte. Also hob er ab. Und hatte mich am Rohr. Blöd gelaufen.
„Hier ist dein Lieblingscommentatore, wie geht’s dir?“, fragte ich. Ich begann meine Telefonate gewohnheitsmäßigimmer mit einer solchen Frage nach dem Befinden des Angerufenen. Es war keine Heuchelei. Mich interessierte wirklich, wie es dem am anderen Ende der Funkstrecke ging. Davon hing nämlich mitunter ab, wie erfolgreich ein Telefonat war.
„Bis vor einer Sekunde gut, jetzt sauschlecht“, nuschelte Schefredaktör ungehalten, „mach es kurz, ich bin in Eile.“
„Das kommt mir sehr entgegen“, antwortete ich, bewusst nicht gleich zur Sache kommend. Ich musste ihn nerven, ich wollte ihn nerven; je genervter er war, desto geringer wurde sein Widerstand.
„Halt mir für übermorgen eine Seite für einen Kommentar frei, sei so gut.“
„Einser-Kastl?“, fragte er.
„Spinnst du“, antwortete ich. „Ich habe gesagt: eine Seite Kommentar.“ Schefredaktör war merklich gereizt. Der wollte mich mit dem kleinen Kommentar-Kasten auf der ersten Seite abspeisen. Das versuchte er immer. Diese kleinen Pseudokolumnen für die kleinen Kommentare zum kleinen Alltag. Die gaben nämlich auch nur kleinen Ärger.
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