Der Glanz der Welt
Taschentuch auf den Gehsteig zu befördern. Zum Glück wurde niemand getroffen. Aber der Fiaker war zum Stillstand gekommen, der Kutscher ließ die Peitsche knallen. Das Pferd wankte immer deutlicher, brach zuerst vorne ein und fiel dann ganz um. Der Kutscher schrie es in einer fremden Sprache, die wir nicht kannten, an. Das Pferd regte sich nicht mehr. Wir standen auf, in diesem Moment überholte uns ein anderer Fiaker in rasender Fahrt, mir schien, er war viel zu schnell unterwegs. Als er an uns vorbeirauschte, hörte ich nur, wie er laut sagte: „Na, háwidere, net scho wieda!“ Da vorne betont, also ein Ausdruck der Überraschung, und angehängt ein „nicht schon wieder“. Ich weiß, warum ich Fiakerfahrten nicht mag. Es ist Tierquälerei. Im Sommer kippen viele der Tiere in der Hitze aus den imaginären Schuhen. Lauf mal einen Tag bei 35 Grad im Schatten durch die Stadt, mitten in der Sonne, und zieh dabei noch eine Kutsche mit ein paar Leuten drin.
Chiara war ausgestiegen und betrachtete entsetzt das Pferd.
„Scheißgaul“, sagte der Fiaker. Es war das erste Wort, das wir verstanden. Dabei trat er dem reglos auf dem Boden liegenden Pferd gegen den Oberschenkel. Dann folgten wiederum einige völlig unverständliche Worte. Ich holte mein Handy heraus und rief Pirchmoser an.
„Was tut man in einer solchen Situation?“, fragte ich ihn.
„Ich ruf bei der Wachstube Am Hof an, die sollen euch jemanden vorbeischicken. Wahrscheinlich hat der depperte Kutscher das Pferd schon zu lange eingespannt. Geschieht leider andauernd. Dabei ist es jetzt kalt. Du hast keine Ahnung, was sich im Sommer abspielt.“
„Pirchmoser schickt uns jemanden vom nächsten Kommissariat“, sagte ich zu Chiara, die darob erleichtert schien.
Ich hatte zwar keine hohe Meinung von dieser ganzen Fiakerherumkutscherei, aber trotzdem hatte ich mir Ablauf und Ausgang unserer Rundfahrt anders vorgestellt. Vorne an der Ecke zum Graben tauchte ein Polizist auf. Das ging aber schnell. Der musste in der Nähe gewesen sein. Er kam auf uns zu und grüßte uns freundlich. Den Kutscher weniger, genau genommen grüßte er ihn gar nicht, sondern sagte im Befehlston: „Papiere!“ Hasste er Ausländer? Hasste er Tierquäler? Hasste er ausländische Tierquäler? Sah er Islamistengefahr im Verzug? Schwer zu sagen.
Der Fiakertyp drehte sich zu mir und sagte: „Geld, Euro! Du zahlen!“ Er wollte offenbar das Geld für die Rundfahrt kassieren. Ich sah ihn an und spürte, wie in mir die Wut hochkam: „Ich scheiß drauf, ob Sie mich verstehen oder nicht. Sie bekommen keinen Groschen, keinen Cent. Nullkommajosef! Und außerdem werde ich Sie beim Magistrat anzeigen, wenn das nicht ohnedies der Herr Inspektor macht. Auf jeden Fall werde ich Sie, Ihre Pizza und Ihr Riesenschnäuztuch bei der Fiakerinnung melden! Da können Sie Gift drauf nehmen, und, bitte, möglichst viel davon.“
Das Pferd zuckte ein paar Mal und hatte es offenbar hinter sich. Vielleicht war der Pferdehimmel, so es ihn gab, ein besserer Aufenthaltsort als die Menschenerde. Ich weiß auchnicht, ob ein auf diese Art dahingeschiedenes Pferd nochmals Menschen glücklich machen kann, indem es zu Leberkäse mutiert.
„Keine Ahnung“, sagte ich auf Chiaras entsprechende Frage, „keine Ahnung, was mit dem Pferd jetzt geschieht. Ich glaube nicht, dass es zu Leberkäse verarbeitet wird, wohl eher zu Tierfutter fürs Katzerl oder fürs Hundchen. Vielleicht machen sie auch Tiermehl draus und füttern damit glückliche Hühner. Ich traue der Nahrungsmittelindustrie alles zu.“
Chiara nickte. Auch sie hatte sich eine Fiakerrundfahrt wohl ganz anders vorgestellt.
„Brauchen Sie uns noch?“, fragte ich den Polizisten. Er verneinte und entließ uns gnädig, nicht einmal nach unseren Personalien fragte er.
„Glaubst du an einen Himmel?“, fragte Chiara.
„Nein“, sagte ich, „das ist alles Beschiss. Das ist wie mit dem blauen Himmel. Man sieht ihn an schönen, klaren Tagen, wunderbares Blau, wunderbarer Himmel. Aber es gibt ihn nicht. Wir sehen ihn nur als Lichtbrechung der Atmosphäre. Dahinter ist die dunkle, leere Weite des Weltalls. Der Himmel ist eine Illusion, ein Riesenschwindel.“
„Das ist schade“, sagte Chiara.
„Ja, sehr schade“, sagte ich, „nur die Hölle, die Hölle ist kein Schwindel.“
Sie hatte sich bei mir untergehakt. Wir gingen über den Graben Richtung Stephansplatz, vorbei beim Würstelstand auf dem Stock-im-Eisen-Platz. Ich würde wohl einige Wochen
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