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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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gestochen. Der Gedanke war ihr bislang gar nicht in den Sinn gekommen, aber es lag auf der Hand, dass Takeo wieder heiraten würde. Seine Ehe mit ihr war annulliert worden; man würde von ihm erwarten, dass er eine andere zur Frau nahm. Hana war eine nahe liegende Wahl, würde das Bündnis mit Fujiwara besiegeln und schüfe für Arai eine weitere Verbindung zu den Domänen Maruyama und Shirakawa.
    »Hana ist doch noch ein Kind«, sagte sie tonlos, während der Kamm durch ihre Haare fuhr. Hatte Takeo sie schon vergessen? Würde er ihre Schwester, die ihr so sehr ähnelte, freudig akzeptieren? Die Eifersucht, die sie bei dem Gedanken an Makoto gepeinigt hatte, kehrte nun tausendfach zurück. Ihre Isolation, ihr Leben als Gefangene, wurde ihr erneut mit aller Macht bewusst. An dem Tag, an dem ich erfahre, dass er wieder geheiratet hat, werde ich sterben, und wenn ich mir selbst die Zunge abbeißen muss, schwor sie sich im Stillen.
    »Sie können sicher sein, dass Lord Otori seine ganz eigenen Pläne verfolgt«, flüsterte Yumi. »Immerhin war er unterwegs, um Sie zu retten, als Arai ihn abfing und an die Küste zurücktrieb. Nur der Taifun hat Lord Otoris Entkommen verhindert.«
    »Er war unterwegs, um mich zu retten?«, sagte Kaede. Die Eifersucht ließ etwas nach, verdrängt von Dankbarkeit und einem schwachen Hoffnungsschimmer.
    »Als er von Ihrer Entführung hörte, brach er sofort mit über tausend Mann auf.« Kaede spürte, wie Yumi zitterte. »Er lässt durch Shizuka ausrichten, dass er Sie liebt und Sie niemals aufgeben wird. Haben Sie Geduld. Er wird kommen, um Sie zu retten.«
    Aus dem Nebenzimmer kam ein Laut, wie ein Aufschrei im Fieber. Die beiden Frauen verstummten.
    »Begleite mich auf den Abtritt«, sagte Kaede, so gefasst, als hätte sie den ganzen Abend nichts anderes gesagt als »Halte mein Gewand« oder »Kämm mir das Haar«. Sie war sich nur zu bewusst, welches Risiko Yumi einging, ihr diese Botschaft zu überbringen, und sie fürchtete um die Sicherheit des Mädchens.
    Yumi nahm einen warmen Umhang und legte ihn Kaede um. Schweigend traten sie hinaus auf die Veranda. Es war noch kälter geworden.
    »Heute Nacht wird es frieren«, bemerkte das Mädchen. »Soll ich mehr Holzkohle für die Kohlenpfannen bringen lassen?«
    Kaede lauschte. Die Nacht war still. Es ging kein Wind und kein Hund heulte. »Ja, wir versuchen, es uns schön warm zu machen.«
    Am Eingang zum Abtritt ließ sie den Fellumhang von ihren Schultern gleiten und übergab ihn Yumi, damit sie ihn hielt. Erst als sie sich in den dunklen Verschlag hockte, unsichtbar für alle anderen, ließ sie das Gefühl der Freude zu. Die Worte pochten ihr im Kopf, jene Worte, die die Göttin selbst zu ihr gesprochen hatte:
    Hab Geduld. Er wird dich holen.

    Am darauffolgenden Tag ging es Rieko etwas besser; sie stand auf und kleidete sich zu ihrer gewohnten Zeit an, obwohl Kaede sie beschwor, noch länger liegen zu bleiben. Der Herbstwind blies noch kälter vom Berg herunter, aber Kaede verspürte eine Wärme, die sie seit ihrer Gefangennahme nicht mehr empfunden hatte. Sie versuchte nicht an Takeo zu denken, aber Yumis geflüsterte Nachricht hatte sein Bild wieder deutlich vor ihrem geistigen Auge erstehen lassen. Die Worte, die er ihr geschickt hatte, hämmerten so laut in ihrem Kopf, dass irgendjemand sie mit Sicherheit hören musste. Sie hatte furchtbare Angst sich zu verraten. Kaede sprach nicht mit Yumi und sah sie nicht einmal an, aber sie nahm eine veränderte Atmosphäre zwischen ihnen wahr, eine Art Verhältnis zweier Komplizen. Konnte dieser Umstand Rieko mit ihren scharfen Kormoranaugen denn entgehen?
    Durch ihre Krankheit war sie launischer und boshafter denn je. An allem hatte sie etwas auszusetzen, beschwerte sich über das Essen, ließ drei verschiedene Sorten Tee bringen und befand sie allesamt als muffig, gab Yumi eine Ohrfeige, weil sie das heiße Wasser nicht rasch genug holte, und brachte Kumiko, das zweite Mädchen, zum Weinen, als es offen zugab, sich vor Erdbeben zu fürchten.
    Kumiko war normalerweise fröhlich und unbeschwert und Rieko ließ ihr gewisse Freiheiten, die sie bei den anderen Bediensteten nie geduldet hätte. Doch an diesem Morgen machte sie sich über das Mädchen lustig, lachte sie wegen ihrer Ängste aus und übersah dabei völlig, dass es ihr selbst genauso ging.
    Kaede entzog sich der unangenehmen Atmosphäre und begab sich an ihren Lieblingsplatz, von wo aus man den kleinen Garten überblicken konnte. Es

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