Der Glanz des Mondes
aufzurichten, vermeinte sie Zorn in seiner Stimme wahrzunehmen. Das Herz wurde ihr schwer. Sie versuchte sich Mut zuzusprechen, doch sie brachte ihn nicht auf. Sie hatte Todesangst.
»Ich freue mich zu sehen, dass du wieder gesund bist«, sagte er mit eisiger Höflichkeit.
Ihr Mund war so trocken, dass sie kaum sprechen konnte. »Dank Seiner Lordschaft Fürsorge«, flüsterte sie.
»Rieko sagte, du wünschst mich zu sprechen.«
»Ich sehne mich immerzu nach der Gesellschaft von Seiner Lordschaft«, begann sie, geriet aber ins Stammeln, als sein Mund sich spöttisch verzog.
Nimm mir die Angst, betete sie. Wenn er sieht, dass ich Angst habe, weiß er, dass er mich gebrochen hat… Er ist auch nur ein Mann; er wollte mir nicht einmal eine Nadel lassen. Er weiß, wozu ich fähig bin. Er weiß, dass ich Iida getötet habe. Sie atmete tief ein.
»Ich spüre, dass hier Dinge vorgehen, die ich nicht verstehe. Habe ich Seine Lordschaft irgendwie beleidigt? Bitte sagen Sie mir, was ich falsch gemacht habe.«
»Hier gehen Dinge vor, die ich nicht verstehe«, erwiderte er. »Fast eine Verschwörung, würde ich sagen. Und das in meinem eigenen Haus. Ich kann nicht glauben, dass meine Frau sich je zu einer solchen Niedertracht herablassen könnte, aber Rieko hat mir von ihrem Verdacht berichtet und die Dienerin bestätigte ihn, ehe sie starb.«
»Was für einen Verdacht?«, fragte Kaede, ohne eine Gefühlsregung erkennen zu lassen.
»Dass jemand dir eine Nachricht von Otori überbracht hat.«
»Rieko lügt«, sagte Kaede, doch ihre Stimme gehorchte ihr nicht.
»Das denke ich nicht. Deine frühere Begleiterin Muto Shizuka wurde hier in der Gegend gesehen. Was mich erstaunte. Wenn sie dich hätte sehen wollen, hätte sie sich an mich wenden sollen. Dann erinnerte ich mich wieder, dass Arai sie als Spionin eingesetzt hatte. Das Dienstmädchen gab zu, dass Shizuka von Otori hierher geschickt wurde. Das war schockierend genug, doch du kannst dir mein Erstaunen vorstellen, als man sie in Ishidas Räumen antraf! Ich war am Boden zerstört. Ishida, dem ich von all meinen Bediensteten am meisten vertraut hatte, mit dem ich fast befreundet war! Wie gefährlich, nicht einmal dem eigenen Arzt trauen zu können. Es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, mich zu vergiften.«
»Er ist absolut vertrauenswürdig«, sagte Kaede. »Er ist Ihnen ergeben. Selbst wenn es wahr wäre, dass mir Shizuka eine Nachricht von Lord Otori brachte, hätte Ishida nichts damit zu tun.«
Er sah sie an, als hätte sie nichts von dem begriffen, was er sagte. »Sie haben miteinander geschlafen«, sagte er. »Mein Arzt hatte eine Affäre mit einer Frau, die als Spionin bekannt ist.«
Kaede erwiderte nichts. Sie hatte von dieser Beziehung nichts gewusst; sie war zu sehr in ihrer eigenen Leidenschaft gefangen gewesen, um etwas davon zu bemerken. Nun plötzlich erschien es ihr so offensichtlich. All die Hinweise fielen ihr wieder ein: wie oft Shizuka in Ishidas Räumen gewesen war, um Medizin oder Tee zu holen. Und nun hatte Takeo sie mit einer Nachricht zu ihr geschickt. Shizuka und Ishida waren das Risiko eingegangen, sich zu treffen, und würden dafür zahlen müssen.
Die Sonne war hinter den Bergen untergegangen, aber es war noch nicht dunkel. Der Garten lag im Dämmerlicht, das durch die Laternen kaum heller wurde. Mit einem heiseren Schrei flog über ihnen eine Krähe zu ihrem Nest.
»Ich schätze Ishida sehr«, sagte Fujiwara, »und ich weiß, dass du deine Begleiterin von damals sehr ins Herz geschlossen hast. Es ist eine Tragödie, doch wir müssen versuchen uns in unserem Kummer gegenseitig zu trösten.« Er klatschte in die Hände. »Bring Wein, Mamoru. Und ich denke, wir beginnen jetzt mit unserer Zerstreuung.« Er neigte sich ihr zu. »Eile ist nicht geboten. Wir haben die ganze Nacht Zeit.«
Sie begriff noch immer nicht, blickte in sein Gesicht, sah den grausamen Zug um seinen Mund und die Blässe seiner Haut, den winzigen Muskel seines Kiefers, der ihn verriet. Seine Augen richteten sich auf Kaede und sie blickte hinüber zu den Pfählen. Eine plötzliche Schwäche überkam sie; die Laternen und die weißen Steine begannen sich um sie zu drehen. Sie atmete tief ein, um sich wieder zu fangen.
»Tun Sie das nicht«, flüsterte sie. »Es ist Ihrer nicht würdig.«
In der Ferne heulte ein Hund. Er heulte und heulte ohne aufzuhören. Ishidas Hund, dachte Kaede und hätte fast geglaubt, dass es ihr Herz war, denn der Laut drückte voll und ganz
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