Der Glanz des Mondes
Krankheitswelle mit sich. Zuerst bekam Kaede eine Erkältung; der Kopf tat ihr weh und in ihrem Hals brannte es, als hätte sie Nadeln verschluckt. Mit dem Fieber kamen Albträume, aber nach ein paar Tagen erholte sie sich wieder, nur ein Husten quälte sie nachts noch. Ishida verabreichte ihr Weidenrinde und Baldrian. Inzwischen hatte auch Rieko die Erkältung, die an Heftigkeit zugenommen zu haben schien, denn die ältere Frau erkrankte viel stärker, als es bei Kaede der Fall gewesen war.
Am dritten Abend von Riekos Erkrankung gab es eine Serie kleinerer Erdstöße, die Rieko zusammen mit dem Fieber in Panik versetzten. Sie war kaum mehr zu halten. Ängstlich schickte Kaede Yumi, um Ishida zu holen.
Als er eintraf, war die Nacht bereits hereingebrochen; ein silberner Dreiviertelmond hing an einem pechschwarzen Himmel und die Sterne wirkten wie kleine leuchtende Punkte aus Eiskristall.
Ishida bat Yumi, ihm heißes Wasser zu holen, braute eine starke Arznei und gab der Kranken davon zu trinken. Nach und nach ließen ihre Krämpfe nach und ihr Schluchzen verstummte.
»Sie wird eine Weile schlafen«, sagte er. »Yumi kann ihr eine weitere Dosis geben, wenn die Panik wiederkehrt.«
Während er sprach, bebte die Erde erneut. Durch die geöffnete Tür sah Kaede den Mond erzittern, als der Boden unter ihr sich hob und senkte. Das andere Mädchen stieß einen Angstschrei aus und flüchtete hinaus.
»Die Erde bebt schon den ganzen Tag«, sagte Kaede. »Ist es eine Warnung, dass uns ein wirklich schweres Erdbeben bevorsteht?«
»Wer weiß?«, erwiderte Ishida. »Löschen Sie besser die Lampen, bevor Sie zu Bett gehen. Ich gehe nach Hause und schaue nach, was mein Hund tut.«
»Ihr Hund?«
»Wenn er unter der Veranda liegt und schläft, gibt es kein starkes Beben. Aber wenn er heult, fange ich an mir Sorgen zu machen.«
Ishida kicherte und Kaede fiel auf, dass sie ihn schon seit langem nicht mehr bei so guter Laune erlebt hatte. Er war ein ruhiger, verschlossener, gewissenhafter Mann, geleitet von seinem Pflichtbewusstsein gegenüber Fujiwara und seiner Berufung als Arzt, doch Kaede spürte, dass an diesem Abend etwas geschehen sein musste, was seine äußerliche Ruhe durchbrach.
Er verließ sie und Yumi folgte Kaede ins Schlafzimmer, um ihr beim Auskleiden behilflich zu sein.
»Ishida schien heute Abend so fröhlich zu sein«, bemerkte Kaede. Es war so angenehm, Riekos Überwachung jeder ihrer Äußerungen los zu sein, dass sie das Gefühl hatte, einfach nur um des Redens willen reden zu müssen. Das Gewand glitt ihr von den Schultern, und als Yumi ihr Haar anhob, um es zu öffnen, spürte Kaede ihren Atem in ihrem Nacken und hörte sie flüstern:
»Das liegt daran, dass Muto Shizuka ihn besucht hat.«
Kaede merkte, wie das Blut ihr aus dem Kopf nach unten sackte. Der Raum um sie herum schien sich zu drehen, nicht durch ein Erdbeben, sondern auf Grund ihres eigenen Schwächegefühls. Yumi hielt sie fest, damit sie nicht fiel, und ließ sie auf die Schlafmatte sinken. Sie brachte ihr das Nachtgewand und half Kaede, es anzulegen.
»Meine Herrin darf sich nicht wieder erkälten und noch einmal krank werden«, murmelte sie und nahm den Kamm, um sich um Kaedes Haar zu kümmern.
»Was gibt es für Neuigkeiten?«, fragte Kaede leise.
»Die Muto haben einen Waffenstillstand mit Lord Otori geschlossen. Der Mutomeister steht nun auf seiner Seite.«
Allein seinen Namen ausgesprochen zu hören ließ Kaedes Herz so heftig schlagen, dass sie glaubte, sich übergeben zu müssen.
»Wo ist er?«
»An der Küste, in Shuho. Er hat sich Lord Arai ergeben.«
Sie konnte sich nicht vorstellen, was ihm zugestoßen war. »Wird er am Leben bleiben?«
»Er und Arai haben ein Bündnis geschmiedet. Sie werden gemeinsam Hagi angreifen.«
»Eine weitere Schlacht«, murmelte Kaede. Ein Ansturm von Gefühlen durchfuhr ihren Körper und ihre Augen begannen zu brennen. »Und meine Schwestern?«
»Es geht ihnen gut. Für Lady Ai ist eine Hochzeit arrangiert worden, mit Lord Akitas Neffen. Bitte weinen Sie doch nicht, Lady. Niemand darf je erfahren, dass Sie diese Dinge wissen. Mein Leben hängt davon ab. Shizuka schwor mir, dass Sie in der Lage wären, Ihre Gefühle zu verbergen.«
Kaede kämpfte ihre Tränen zurück. »Und meine jüngere Schwester?«
»Arai wollte sie Lord Otori zur Frau geben, aber er sagt, er wolle nicht an Heirat denken, ehe er Hagi eingenommen hat.«
Es war, als hätte eine verborgene Nadel sie direkt ins Herz
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