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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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erneut Macht ausüben, an all jenen rächen würde, die ihr Leid zugefügt hatten.
    Tag und Nacht brannten Lampen vor dem Schrein, und oft entzündete Kaede Weihrauch, sog den schweren Geruch ein und ließ ihn die Luft um sie herum schwängern. An einem Gestell hing eine kleine Glocke und von Zeit zu Zeit verspürte sie den Drang, heftig dagegenzuschlagen. Dann hallte der klare Ton durch ihre Räume und die Mädchen wechselten Blicke, vorsichtig, damit Rieko nichts davon bemerkte. Sie wussten einige Dinge über Kaedes Vergangenheit, bedauerten sie, und bewunderten sie mit der Zeit immer mehr.
    Eines der Mädchen interessierte Kaede besonders. Aus den Aufzeichnungen, die sie für Takeo kopiert hatte, wusste sie, dass einige Stammesangehörige in Fujiwaras Haushalt beschäftigt waren, wovon er sehr wahrscheinlich nichts ahnte. Zwei Männer, einer davon der Verwalter der Ländereien, erhielten ihren Lohn aus der Hauptstadt; wahrscheinlich waren es Spione, die bei Hofe über die Aktivitäten des im Exil lebenden Edelmannes berichten sollten. In der Küche gab es zwei Dienerinnen, die die eine oder andere Information an jeden verkauften, der sie dafür bezahlte, und eine weitere Frau, eine Magd, von der Kaede annahm, dass sie jenes Mädchen sein musste.
    Sie hatte wenige Anhaltspunkte außer der Tatsache, dass das Mädchen irgendetwas Undefinierbares an sich hatte, was an Shizuka erinnerte, und dass die Hände der beiden dieselbe Form besaßen. Kaede hatte Shizuka, nachdem sie sich getrennt hatten, anfangs nicht vermisst, ihr Leben war vollständig von Takeo erfüllt gewesen. Doch nun, in der Gesellschaft der Frauen, sehnte sie sich heftig nach ihr. Nach ihrer Stimme, ihrer fröhlichen Art und ihrem Mut.
    Vor allem sehnte sie sich nach Neuigkeiten. Der Name des Mädchens lautete Yumi. Wenn irgendjemand wusste, was draußen in der Welt vor sich ging, dann jemand vom Stamm, aber Kaede war nie mit ihr allein und hatte Angst, sich ihr auch nur indirekt zu nähern. Zuerst hatte sie gedacht, das Mädchen sei vielleicht geschickt worden, um sie zu ermorden, aus irgendeinem Rachemotiv oder um Takeo zu strafen; und Kaede beobachtete sie verstohlen, nicht aus Angst, sondern mehr mit einer Art Neugier: wie die Tat geschehen würde, wie es sich für sie anfühlen würde und ob ihre erste Reaktion Erleichterung oder Bedauern wäre.
    Sie wusste davon, dass der Stamm die Todesstrafe über Takeo verhängt hatte, die nun durch seine rigorose Verfolgung der Stammesangehörigen in Alaruyama noch zwingender geworden war. Von ihnen konnte sie keinerlei Sympathie oder Unterstützung erwarten. Und doch lag in dem Auftreten des Mädchens etwas, was darauf hindeutete, dass sie Kaede gegenüber keine feindseligen Gefühle hegte.
    Als die Tage kürzer und kühler wurden, musste die Wintergarderobe zum Lüften hinausgetragen werden, die Sommerkleidung wurde gewaschen, gefaltet und weggelegt. Zwei Wochen lang trug Kaede die Gewänder der Übergangsjahreszeit, dankbar, dass sie besser wärmten. Rieko und die Mädchen nähten und stickten, aber Kaede durfte sich nicht beteiligen. Sie mochte Näharbeiten nicht besonders - ihre Linkshändigkeit hatte ihr zunächst Schwierigkeiten bereitet, Geschick dabei zu entwickeln -, aber es hätte dazu beigetragen, ihre leeren Tage mit einer Beschäftigung zu füllen. Die Farben der Garne gefielen ihr und es entzückte sie, wie auf dem schweren Seidenstoff nach und nach eine Blume oder ein Vogel lebendig wurde. Von Rieko erfuhr sie, dass Lord Fujiwara angeordnet hatte, sämtliche Nadeln, Scheren oder Messer von ihr fern zu halten. Sogar Spiegel gelangten nur zu ihr, wenn Rieko sie brachte. Kaede musste an die winzige, nadelgroße Waffe denken, die Shizuka für sie entworfen und im Saum ihres Ärmels versteckt hatte, und wie sie sie damals in Inuyama eingesetzt hatte. Fürchtete Fujiwara tatsächlich, dass Kaede ihm dasselbe antun könnte?
    Rieko ließ sie keine Sekunde aus den Augen, außer wenn Fujiwara zu seinem täglichen Besuch erschien. Sie begleitete sie ins Badehaus oder sogar auf den Abtritt, wo sie die schweren Gewänder beiseite hielt und Kaede hinterher an der Zisterne die Hände wusch. Wenn Kaedes Blutungen einsetzten, stellte Fujiwara seine Besuche ein, bis sie am Ende der Woche wieder davon reingewaschen war.
    Die Zeit verging. Der Pflaumenbaum war inzwischen kahl und eines Morgens überzog ein Schimmer von Frost das Moos und die Nadeln der Kiefern. Der Beginn der kalten Jahreszeit brachte eine

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