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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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fiel kaum noch Licht ins Zimmer, und in wenigen Wochen würde die Sonne nicht einmal mehr die Außenwände erreichen. Der Winter in diesen Räumen versprach düster zu werden - aber Takeo würde sie doch sicher noch vor Wintereinbruch holen?
    Die Berge waren nicht zu erkennen; Kaede stellte sich vor, wie sie sich in den blauen Herbsthimmel erhoben. Inzwischen mussten die Gipfel mit Schnee bedeckt sein. Ein Vogel ließ sich plötzlich auf der Kiefer nieder, begann laut zu zwitschern und flog dann über das Dach wieder davon; grün und weiß blitzten seine Flügel auf. Er erinnerte sie an den Vogel, den Takeo vor langer Zeit gemalt hatte. Konnte es ein Zeichen sein - ein Zeichen für sie, dass sie bald wieder in Freiheit leben würde?
    Hinter ihr wurden die Stimmen der Frauen lauter. Kumiko weinte: »Ich kann nichts dafür. Wenn das Haus zu beben beginnt, muss ich hinausrennen. Ich halte das nicht aus.«
    »Also hast du es gestern Abend getan! Du hast Ihre Ladyschaft allein gelassen, während ich schlief?«
    »Yumi war doch die ganze Zeit bei ihr«, antwortete Kumiko schluchzend.
    »Lord Fujiwaras Befehl lautete, dass immer zwei von uns in ihrer Nähe sein müssen!« Das Knallen einer zweiten Ohrfeige schallte durch den Raum.
    Kaede dachte an den Flug des Vogels, die Tränen des Mädchens. Ihr selbst war zum Weinen zu Mute. Sie hörte Schritte und wusste, dass Rieko hinter ihr stand, wandte aber nicht den Kopf.
    »Also waren Lady Fujiwara gestern Abend mit Yumi allein. Ich hörte euch flüstern. Worüber haben Sie mit ihr gesprochen?«
    »Wir haben nur geflüstert, um dich nicht zu stören«, erwiderte Kaede. »Wir sprachen über Nichtigkeiten: über den Herbstwind, den Glanz des Mondes vielleicht. Ich bat sie, mir das Haar zu kämmen und mich zum Abtritt zu begleiten.«
    Rieko kniete sich neben sie und versuchte ihr ins Gesicht zu sehen. Ihr schweres Parfüm brachte Kaede zum Husten.
    »Lass mich zufrieden«, sagte Kaede und wandte sich ab. »Wir sind beide nicht wohlauf. Ich möchte, dass wir versuchen einen friedlichen Tag zu verbringen.«
    »Wie undankbar Sie sind«, sagte Rieko und ihre Stimme war so leise wie das Sirren eines Moskitos. »Und was für eine Närrin. Lord Fujiwara hat alles für Sie getan und Sie träumen immer noch davon ihn zu täuschen.«
    »Du musst Fieber haben«, sagte Kaede. »Du bildest dir Dinge ein. Wie könnte ich Lord Fujiwara in irgendeiner Weise täuschen? Ich bin ganz und gar seine Gefangene.«
    »Seine Frau«, verbesserte Rieko sie. »Selbst dass Sie ein Wort wie Gefangene gebrauchen, zeigt, dass Sie nach wie vor gegen Ihren Ehemann rebellieren.«
    Kaede erwiderte nichts und starrte nur auf die Kiefernnadeln, die sich gestochen scharf vom Himmel abhoben. Sie fürchtete, Rieko vielleicht irgendetwas zu verraten. Yumis Nachricht hatte ihr Hoffnung gemacht, doch die Kehrseite davon war Angst: um Yumi, um Shizuka, um sich selbst.
    »Sie wirken irgendwie verändert«, murmelte Rieko. »Meinen Sie, ich merke das nicht?«
    »Mir ist tatsächlich ein wenig warm«, sagte Kaede. »Ich glaube, das Fieber ist zurückgekehrt.«
    Sind sie bereits in Hagi?, dachte sie. Ist er gerade mitten im Kampf? Möge er beschützt sein! Möge er am Leben bleiben!
    »Ich werde ein wenig beten«, sagte sie zu Rieko und ging, um vor dem Schrein niederzuknien. Kumiko brachte Kohlen und Kaede entzündete Weihrauch. Der schwere Duft zog durch die Räume und stiftete dort zwischen den Frauen einen halbherzigen Frieden.
    Ein paar Tage später ging Yumi, um die Speisen für das Mittagessen zu bringen, und kehrte nicht zurück. An ihrer Stelle kam eine andere Dienerin, eine ältere Frau. Sie und Kumiko servierten die Mahlzeit schweigend. Kumikos Augen waren rot und sie schniefte erbärmlich. Als Kaede zu erfragen versuchte, was vorgefallen sei, fuhr Rieko sie an: »Sie hat sich erkältet, das ist alles.«
    »Wo ist Yumi?«, fragte Kaede.
    »Sie interessieren sich also für sie? Das beweist, dass mein Verdacht berechtigt war!«
    »Was denn für ein Verdacht?«, sagte Kaede. »Was meinst du denn damit? Ich habe weder diese noch jene Gefühle für sie. Ich habe mich einfach nur gefragt, wo sie ist.«
    »Sie werden sie nicht wiedersehen«, sagte Rieko kalt. Kumiko gab einen erstickten Laut von sich, als würde sie ein Schluchzen unterdrücken.
    Kaede fror entsetzlich, obwohl ihre Haut glühte. Ihr war, als würden die Wände ringsum auf sie zukommen. Gegen Abend litt sie unter heftigen Kopfschmerzen und bat Rieko, nach

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