Der Glanz des Mondes
ich. »Ich bin Otori Takeo.«
Sie hoben die Köpfe, aber kaum dass ich meinen Namen ausgesprochen hatte, senkten sie sie wieder. »Setzt euch auf«, wiederholte ich. »Jin-emon ist tot.« Wieder warfen sie sich nieder. »Ihr könnt mit seinem Körper tun, was ihr wollt. Holt die sterblichen Überreste eurer Verwandten und begrabt sie mit allen Ehren.« Ich machte eine Pause. Ich hätte sie gern um Verpflegung gebeten, doch wahrscheinlich besaßen sie so wenig, dass ich sie damit verurteilt hätte, hungers zu sterben, wenn wir wieder aufbrachen.
Der Älteste unter ihnen, offenbar der Anführer, ergriff zögernd das Wort. »Lord, was können wir für Sie tun? Wir würden Ihren Männern ja gern zu essen geben, aber es sind so viele…«
»Begrabt die Toten und ihr schuldet uns nichts«, erwiderte ich. »Aber wir müssen Unterkünfte für die Nacht finden. Was könnt ihr uns über die nächste Stadt berichten?«
»Dort wird man euch freundlich empfangen«, sagte er. »Kibi liegt etwa eine Stunde Fußmarsch von hier entfernt. Wir haben einen neuen Lehnsherrn, einer von Lord Arais Männern. Er hat uns dieses Jahr öfter Krieger gegen die Banditen geschickt, doch sie wurden jedes Mal geschlagen. Das letzte Mal wurden seine beiden Söhne getötet, von Jin-emon, genau wie mein ältester Sohn. Dies hier ist sein Bruder, Jiro. Nehmen Sie ihn mit, Lord Otori.«
Jiro war um einige Jahre jünger als ich, schrecklich hager, aber sein durch den Regen schmutzverschmiertes Gesicht wirkte durchaus intelligent.
»Komm her, Jiro«, sagte ich zu ihm, und er erhob sich und trat auf den Braunen zu. Mein Pferd beschnupperte ihn ausgiebig, als würde es ihn prüfen. »Magst du Pferde?«
Er nickte bloß, zu überwältigt von meiner direkten Aufforderung zu sprechen.
»Wenn dein Vater dich entbehren kann, darfst du mit mir ziehen, nach Maruyama.« Ich dachte daran, ihn Amanos Stallburschen zuzuteilen.
»Wir sollten sehen, dass wir weiterkommen«, sagte Makoto an meiner Seite.
»Wir haben mitgebracht, was uns möglich war«, sagte der Anführer und gab den anderen Bauern ein Zeichen. Sie ließen Säcke und Körbe von ihren Schultern sinken und tischten uns eine dürftige Mahlzeit auf: Hirsekuchen, Farnsprossen und andere wild wachsende Gemüsesorten aus der Bergregion, ein paar kleine gesalzene Pflaumen und verschrumpelte Kastanien. Ich wollte sie nicht annehmen, spürte jedoch, dass meine Zurückweisung die Bauern entehrt hätte. Ich befahl zwei Soldaten, das Essen einzusammeln und die Säcke mitzunehmen.
»Sag deinem Vater Lebewohl«, sagte ich zu Jiro und sah im Gesicht des Alten, wie er plötzlich mit den Tränen kämpfte. Ich bereute mein Angebot, den Jungen mitzunehmen, nicht nur weil ich damit die Verantwortung für ein weiteres Leben übernahm, sondern auch, weil ich seinen Vater beim Wiederaufbau der vernachlässigten Reisfelder einer helfenden Hand beraubte.
»Ich schicke ihn aus der Stadt zurück.«
»Nein!«, riefen Vater und Sohn wie aus einem Munde, und der Junge errötete.
»Lassen Sie ihn mitgehen«, flehte der Vater. »Alle in unserer Familie waren früher Krieger. Meine Großeltern zogen es dann vor, Bauern zu werden, um nicht zu verhungern. Wenn Jiro bei Ihnen dient, kann er vielleicht ein Krieger werden und dem Namen unserer Familie zu neuer Ehre verhelfen.«
»Er täte besser daran, hier zu bleiben und das Land wieder urbar zu machen«, erwiderte ich. »Wenn es aber wirklich dein Wunsch ist, darf er mitkommen.«
Ich schickte den Jungen nach hinten zu Amano, um ihm bei den Pferden zu helfen, die wir den Banditen abgenommen hatten. Er solle zurückkommen, wenn er im Sattel säße. Ich fragte mich, wie es Aoi wohl ergangen war, den ich seit der Übergabe an Jo-An nicht mehr gesehen hatte. Es schien mir Tage her zu sein. Makoto und ich ritten Knie an Knie an der Spitze unserer müden und dennoch gut gelaunten Truppen.
»Es war ein guter Tag, ein guter Beginn«, sagte er. »Du hast dich ausgesprochen gut geschlagen, trotz meiner Dummheit.«
Wieder dachte ich an meinen Groll gegen ihn. Inzwischen schien er vollständig verflogen.
»Lass es uns vergessen. Würdest du sagen, dass dies eine Schlacht war?«
»Für Unerfahrene war es eine Schlacht«, erwiderte er. »Und ein Sieg. Da du es bist, der ihn errungen hat, kannst du ihn nennen, wie du willst.«
Also erwarteten mich weitere drei Siege und dann eine Niederlage, überlegte ich und zweifelte fast im selben Augenblick, ob dies wohl die Art und Weise war, wie
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