Der Glanz des Mondes
größer als Shun und seine Reichweite übertraf die meine. Shun hatte beide Ohren aufmerksam nach vorn gerichtet, seine Augen strahlten Ruhe aus. Unmittelbar bevor der Mann zuschlug, machte mein Pferd einen Satz zur Seite und drehte sich dabei fast mitten in der Luft, so dass ich meinen Gegner von hinten angreifen und ihm Hals und Schulter aufschlitzen konnte, während er vergebens auf die Stelle einhieb, an der ich mich gerade noch befunden hatte.
Er war kein Dämon oder Ungeheuer, sondern ganz und gar menschlich. Sein rotes Blut sprudelte hervor. Er schwankte im Sattel, während sein Pferd weitergaloppierte, dann kippte er plötzlich zur Seite und stürzte zu Boden.
Shun, nach wie vor die Ruhe selbst, war unterdessen wieder herumgeschnellt, um dem nächsten Angreifer entgegenzutreten. Der Mann trug keinen Helm und Jato spaltete seinen Kopf in der Mitte, so dass Blut, Hirnmasse und Knochensplitter umherflogen. Der Geruch von Blut, vermischt mit Schlamm und Regen, hüllte uns ein. Immer mehr unserer Soldaten stießen dazu und beteiligten sich an dem Kampf, bis die Räuber schließlich vollkommen unterlegen waren. Die Überlebenden versuchten zu fliehen, aber wir ritten ihnen nach und streckten sie nieder. Zorn hatte den ganzen Tag über in mir geschwelt und war durch Makotos Ungehorsam voll entbrannt; nun entlud er sich in diesem kurzen, blutigen Gefecht. Ich war wütend über die Verzögerung, die diese gesetzlosen Dummköpfe verschuldet hatten, und es erfüllte mich mit tiefer Genugtuung, dass sie ihren Preis dafür allesamt zahlen mussten. Es war keine richtige Schlacht gewesen, doch wir hatten sie mit Entschiedenheit geschlagen und einen Vorgeschmack auf Blut und Sieg erhalten.
Drei unserer Männer waren tot, zwei weitere verwundet. Später wurden mir außerdem vier Ertrunkene gemeldet. Einer von Kaheis Leuten, Shibata vom Otoriclan, verstand etwas von Heilkräutern; er säuberte und behandelte die Wunden. Kahei ritt voraus in die Stadt, um eine geeignete Unterkunft zu finden, zumindest für die Frauen, und Makoto und ich ließen den Rest unserer Truppen das Tempo verlangsamen. Er übernahm das Kommando, während ich zum Fluss zurückkehrte, wo die Letzten gerade die schwimmende Brücke überquerten.
Jo-An und seine Gefährten kauerten immer noch an der Uferböschung. Er erhob sich und kam zu mir. Für einen Moment verspürte ich den Impuls, vom Pferd zu steigen und ihn zu umarmen, doch ich ignorierte es und der Augenblick verstrich.
»Danke«, sagte ich. »Dir und all deinen Männern. Ihr habt uns vor einer Katastrophe gerettet.«
»Nicht einer von ihnen hat uns gedankt«, bemerkte er, auf die vorbeimarschierenden Soldaten deutend.
»Glücklicherweise arbeiten wir für Gott und nicht für sie.«
»Kommst du mit uns, Jo-An?«, sagte ich. Mir war nicht wohl dabei, sie über den Fluss wieder zurückzuschicken, wo ihnen wer weiß welche Strafen dafür drohten, dass sie die Landesgrenzen übertreten, Bäume gefällt und einem Geächteten geholfen hatten.
Jo-An nickte. Er machte einen erschöpften Eindruck und in mir regten sich starke Schuldgefühle. Ich wollte die Ausgestoßenen nicht bei mir haben - aus Furcht vor der Reaktion meiner Soldaten und wissend, wie viel Zwist und Unruhe ihre Anwesenheit mit sich bringen würde -, aber ich konnte sie einfach nicht sich selbst überlassen.
»Wir müssen die Brücke zerstören«, sagte ich. »Sonst nutzen die Otori sie, um uns zu folgen.«
Er nickte wieder und rief die anderen herbei. Müde erhoben sie sich und begannen die Schnüre zu lösen, die die Flöße an Ort und Stelle hielten. Ich hielt einige der Fußsoldaten an, Bauern, die Sicheln und Messer dabeihatten, und befahl ihnen, den Ausgestoßenen zu helfen. Sobald die Seile gekappt waren, gaben die Flöße nach. Die Strömung trieb sie sofort in die Flussmitte, wo die reißenden Fluten sich daranmachten, sie vollends zu zerstören.
Eine Weile betrachtete ich das trübe Wasser, rief den Ausgestoßenen noch einmal meinen Dank zu und wies sie an, sich den Soldaten anzuschließen. Dann begab ich mich zu Kaede.
Sie saß bereits auf Raku, im Schutz der Bäume rings um den Fuchsschrein. Ich nahm kurz wahr, dass Manami das Packpferd ritt, auf dem hinter ihr die Kiste mit den Aufzeichnungen festgezurrt war, dann hatte ich nur noch Augen für Kaede. Ihr Gesicht war blass, doch sie saß aufrecht auf dem kleinen Grauen und betrachtete mit einem leichten Lächeln auf den Lippen die an ihr vorbeiziehenden Truppen.
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