Der Glanz des Mondes
Shuns Rücken und trieb ihn durch die wogende Menge davon. Von Zeit zu Zeit sah ich aus den Augenwinkeln, wie er sich zwischen die Kämpfenden drängte, reiterlose, zu Tode erschrockene Pferde auflas und sie Richtung Wald führte. Wie er gesagt hatte, gab es in einer Schlacht noch viele andere Aufgaben als zu töten.
Bald schon konnte ich weiter vorn die Banner der Otori und Maruyama erkennen und auch das Wappen der Miyoshi war zu sehen. Die Armee zwischen ihnen und uns war eingekesselt. Sie kämpften schonungslos weiter, aber es gab keinen Ausweg, ihre Lage war hoffnungslos.
Ich glaube, keiner von ihnen kam mit dem Leben davon. Der Fluss schäumte rot von ihrem Blut. Nachdem es vorüber war und Stille sich auf alles herabsenkte, kümmerten sich die Ausgestoßenen um die Toten und legten sie in Reihen nieder. Als wir Sugita trafen, schritten wir sie gemeinsam ab, und er konnte viele der Gefallenen identifizieren. Jo-An und seine Männer hatten sich in der Zwischenzeit der vielen Pferde angenommen. Dann nahmen sie den Toten Waffen und Rüstungen ab und besorgten das Verbrennen der Leichen.
Der Tag war verstrichen, ohne dass ich es bemerkt hatte. Es musste bereits um die Stunde des Hundes sein; die Schlacht hatte fünf oder sechs Stunden gedauert. Unsere Armeen waren in etwa gleich stark gewesen: an die zweitausend Mann auf jeder Seite. Aber von den Tohan waren alle umgekommen, während wir weniger als hundert Tote und etwa zweihundert Verletzte hatten.
Jo-An brachte mir Shun zurück und ich ritt mit Sugita in den Wald, wo Kaede die ganze Zeit gewartet hatte. Manami hatte mit ihrem üblichen Sinn für Effizienz ein Lager hergerichtet, Feuer gemacht und Wasser aufgesetzt. Kaede kniete auf einem Teppich unter den Bäumen. Wir erkannten ihre Gestalt zwischen den silbergrauen Buchenstämmen, eingehüllt von ihrem Haar, mit geradem Rücken dasitzend. Als wir näher herankamen, sah ich, dass ihre Augen geschlossen waren.
Manami lief uns entgegen, mit glänzenden, rot umränderten Augen. »Sie hat gebetet«, flüsterte sie. »Schon seit Stunden sitzt sie so da.«
Ich saß ab und rief ihren Namen. Kaede schlug die Augen auf und Freude und Erleichterung sprangen ihr ins Gesicht. Ihr Kopf berührte den Boden, ihre Lippen bewegten sich in stillem Dank. Ich kniete mich vor sie und Sugita tat es mir gleich.
»Wir haben einen großen Sieg errungen«, sagte er. »Iida Nariaki ist tot und nichts wird Sie nun davon abhalten, das Erbe Ihrer Domäne in Maruyama anzutreten.«
»Ich bin Ihnen unendlich dankbar für Ihre Loyalität und Ihre Tapferkeit«, antwortete sie ihm, dann wandte sie sich mir zu.
»Bist du verletzt?«
»Ich glaube nicht.« Die Raserei der Schlacht ließ langsam nach und ich spürte, dass mir alles wehtat. Meine Ohren sausten und der Geruch von Blut und Tod, der mir anhaftete, erfüllte mich mit Ekel. Kaede dagegen wirkte unerreichbar makellos und rein.
»Ich habe um deine Sicherheit gebetet«, sagte sie mit leiser Stimme. Sugitas Anwesenheit ließ uns unbeholfen miteinander umgehen.
»Trinken Sie ein wenig Tee«, drängte Manami. Ich merkte, dass ich einen vollkommen trockenen Mund hatte, die Lippen waren blutverkrustet.
»Wir sind so schmutzig…«, begann ich, aber sie schob mir die mit Tee gefüllte Schale in die Hand und ich trank ihn dankbar.
Es war nach Sonnenuntergang und das Abendlicht war klar und eine Spur bläulich. Der Wind hatte sich gelegt und die Vögel sangen die letzten Lieder des Tages. Ich hörte ein Rascheln im Gras, hob den Kopf und sah in der Ferne einen Hasen, der die Lichtung kreuzte. Ich beobachtete ihn und trank meinen Tee. Eine ganze Weile lang starrte er mit seinen großen wilden Augen zu mir herüber, ehe er davonsprang. Der Tee schmeckte rauchig und bitter.
Zwei Schlachten lagen hinter uns, drei noch vor uns - wenn man der Prophezeiung glauben wollte: zwei weitere Siege und eine Niederlage.
KAPITEL 4
Einen Monat zuvor, nachdem Shirakawa Kaede mit den Brüdern Miyoshi zum Tempel von Terayama aufgebrochen war, machte sich Muto Shizuka auf den Weg in das geheime Dorf ihrer Stammesfamilie, das versteckt in den Bergen auf der anderen Seite Yamagatas lag. Kaede hatte beim Abschied geweint, hatte Shizuka Geld aufgedrängt und darauf bestanden, dass sie eines der Packpferde nahm und es dann bei Gelegenheit zurückschickte, doch Shizuka wusste, dass sie rasch vergessen sein würde, sobald Kaede wieder bei Takeo war. Die Trennung von Kaede hatte bei Shizuka ein äußerst ungutes
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