Der Glanz des Mondes
umging.
Shizuka dachte: Wenn mir dies hier so bestimmt ist, muss ich das Beste daraus machen.
Und dann dachte sie: Was ist nur mit mir geschehen? Bin ich plötzlich alt geworden? Noch vor einem Jahr hätte ich mit einem Mann wie Kondo kurzen Prozess gemacht, aber vor einem Jahr dachte ich auch noch, dass ich zu Arai gehörte. So viel ist seitdem geschehen, so viele Intrigen, so viele Tode. Shigeru und Naomi habe ich verloren, habe die ganze Zeit Gleichgültigkeit vorgetäuscht, konnte kaum weinen, nicht einmal, als der Vater meiner Kinder mich umbringen lassen wollte; nicht einmal, als ich dachte, dass Kaede sterben müsste…
Es war nicht das erste Mal, dass die ständige Verstellung, die Kaltblütigkeit und Brutalität sie einfach anwiderten. Sie dachte an Shigeru und seinen Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit, und an Ishida, dessen Anliegen es war zu heilen statt zu töten. Shizuka spürte, wie sich ihr Herz schmerzvoller verkrampfte, als sie es je für möglich gehalten hätte. Ich bin alt, dachte sie. Nächstes Jahr werde ich dreißig.
Ihre Augen begannen zu brennen und sie merkte, dass sie weinen musste. Tränen liefen ihr das Gesicht hinunter, und Kondo, der sie missverstand, drückte sie fester an sich. Zwischen ihrer Wange und seiner Brust bildete sich ein feuchter Tränenfilm, der die roten und dunkelbraunen Tätowierungen seines Körpers überzog.
Nach einer Weile erhob sie sich und lief zum Wasserfall. Ihr Tuch ins eisige Wasser tauchend, wusch sie sich das Gesicht, dann schöpfte sie mit beiden Händen, um zu trinken. Der Wald um sie herum war fast still, außer dem Quaken der Frühlingsfrösche und den ersten vorsichtigen Versuchen der Zikaden war nichts zu hören. Die Luft kühlte bereits merklich ab. Sie mussten sich beeilen, wenn sie das Dorf noch vor Anbruch der Dunkelheit erreichen wollten.
Kondo hatte ihre Bündel bereits aufgehoben und um die Stange geschlungen. Nun hob er sie sich auf die Schulter.
»Weißt du«, sagte er, kaum dass sie wieder unterwegs waren, und hob die Stimme, da Shizuka, die den Weg kannte, vorausging. »Ich glaube nicht, dass du Takeo etwas zu Leide tun könntest. Ich denke, es wäre dir unmöglich, ihn zu töten.«
»Wieso nicht?« Sie drehte sich nach ihm um. »Ich habe schon andere Männer getötet!«
»Ich kenne deinen Ruf, Shizuka! Aber wenn du von Takeo sprichst, wird dein Gesicht ganz weich, als würdest du Mitleid mit ihm empfinden. Und ich glaube, du würdest Lady Shirakawa niemals Kummer bereiten, dazu sind deine Gefühle ihr gegenüber viel zu stark.«
»Du siehst alles! Du weißt alles über mich! Bist du sicher, dass du kein Fuchsgeist bist?« Sie fragte sich, ob er von ihrer Affäre mit Ishida wusste, und betete im Stillen, dass er nichts davon erwähnen würde.
»Auch ich habe Stammesblut in meinen Adern«, gab er zurück.
»Wenn ich nicht mehr in Takeos Nähe bin, werde ich mich nicht mehr zerrissen fühlen«, sagte sie. »Und dasselbe gilt für dich.« Eine Weile ging sie schweigend weiter, dann fügte sie unvermittelt hinzu: »Wahrscheinlich tut er mir tatsächlich Leid.«
»Und da behaupten die Leute immer, du wärst so hart!« Seine Stimme hatte ihren leicht ironischen Unterton wiedergefunden.
»Leid berührt mich immer noch. Nicht wenn jemand es sich durch seine eigene Dummheit zufügt, aber Leid, das einem durch das Schicksal auferlegt wird.«
Der Hang wurde steiler und Shizuka merkte, wie sie nach Atem rang. Sie schwieg, bis die Atemlosigkeit nachließ, und versank in Grübeleien über die Fäden des Schicksals, durch die sie mit Takeo, Kaede und der Zukunft des Otoriclans verbunden war.
Der Pfad bot inzwischen Platz für zwei und Kondo gesellte sich an ihre Seite.
»Takeos Erziehung bei den Verborgenen, seine Aufnahme in die Kriegerklasse durch Shigeru und die Ansprüche des Stamms sind in seinem Leben offenbar unvereinbare Gegensätze«, sagte Shizuka schließlich. »Sie werden ihn innerlich spalten. Und nun wird diese Hochzeit noch mehr Feindseligkeiten gegen ihn auslösen.«
»Ich glaube nicht, dass er noch lange lebt. Früher oder später wird ihn schon jemand zu fassen kriegen.«
»Man kann nie wissen«, erwiderte sie mit einer Unbekümmertheit, die sie nicht empfand. »Vielleicht wäre es mir und jedem anderen unmöglich, ihn zu töten - weil niemand es schafft, sich ihm zu nähern.«
»Zwei Versuche hat man bereits auf seiner Reise nach Terayama unternommen«, sagte Kondo. »Sie schlugen beide fehl und drei Männer kamen
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