Der Glanz des Mondes
ich in Mino unter den Hufen seines Pferdes zu ihm aufblickte. Quer über seiner Brust prangte eine goldene Kette aus Gebetsperlen. Unsere Blicke trafen sich über dem Meer aus kämpfenden Männern und Nariaki stieß einen Wutschrei aus. Er riss sein Pferd herum und gab ihm die Sporen, durchbrach den Kreis der schützenden Abwehr, der ihn umgab, und kam auf mich zugeprescht.
»Otori Takeo gehört mir!«, brüllte er. »Keiner außer mir rührt ihn an!« Er schrie es wieder und wieder, bis die Angreifer um mich herum ein wenig von mir abließen, und schließlich standen wir uns gegenüber, nur wenige Schritte voneinander entfernt.
Es klingt, als hätte ich Zeit zum Nachdenken gehabt, doch in Wirklichkeit blieb mir keine. Alles, was in meiner Erinnerung wieder auftaucht, sind kurze Momente. Ich hatte ihn direkt vor mir. Er brüllte erneut Beleidigungen, deren Sinn ich kaum wahrnahm. Ließ die Zügel sinken und hob mit beiden Händen sein Schwert. Sein Pferd war größer als Shun und er, ebenso wie Iida, viel größer als ich. Ich fixierte das Schwert und wartete den Moment des Hiebes ab, Shun ebenfalls.
Die Klinge blitzte auf. Shun sprang zur Seite und das Schwert traf ins Leere. Der Schwung des gewaltigen Schlags brachte ihn für einen kurzen Moment aus dem Gleichgewicht. Als er unbeholfen gegen den Nacken des Pferdes prallte, bäumte es sich leicht auf, heftig genug, dass er noch mehr den Halt verlor. Er hatte die Wahl entweder zu fallen oder sein Schwert loszulassen. Seine Füße streiften die Steigbügel ab, seine Linke krallte sich in die Mähne seines Pferdes und Nariaki ließ sich mit erstaunlicher Geschmeidigkeit zu Boden gleiten, sein Schwert noch immer in der Hand. Er landete auf den Knien, dann sprang er auf und stürzte bereits im Hochschnellen mit einem Hieb auf mich los, der mir das Bein abgetrennt hätte, wäre Shun ihm nicht schnell ausgewichen.
Meine Männer drängten nach vorn und hätten Nariaki mit Leichtigkeit überwältigen können.
»Zurück!«, rief ich. Ich war fest entschlossen, ihn selbst zu töten. Eine nie gekannte Wut hatte Besitz von mir ergriffen, die sich von den kaltblütigen Morden des Stamms unterschied wie Tag und Nacht. Ich ließ die Zügel fallen und sprang von Shuns Rücken. Ich hörte sein Schnauben hinter mir und wusste, dass er sich nicht von der Stelle rühren würde, bis ich ihn wieder brauchte.
Ich stand vor Iidas Cousin, wie ich am liebsten vor Iida selbst gestanden hätte. Mir war klar, dass Nariaki mich verachtete, und das mit gutem Grund: Ich hatte weder seine Erfahrung noch sein Geschick, doch in seiner Verachtung erkannte ich seinen Schwachpunkt. Er stürmte vorwärts, mit wirbelndem Schwert, in der Hoffnung, mich dank seiner größeren Reichweite niederzustrecken. Plötzlich sah ich mich wieder in der Halle in Terayama, wie ich mit Matsuda trainierte. Und Kaedes Bild erschien mir im Geiste, so wie ich sie damals gesehen hatte: als mein Leben und meine Quelle der Kraft. Heute werden wir die Nacht in Maruyama verbringen, versprach ich ihr im Stillen erneut, und wie damals floss eine unzerstörbare Energie vom Kern meines Seins in meinen Schwertarm.
Schwarzes Blut, dachte ich, vielleicht brüllte ich es Nariaki auch ins Gesicht. Du hast es und ich habe es. Wir sind Angehörige derselben Klasse. Ich spürte Shigerus Hand in meiner eigenen. Und dann stach Jato präzise zu und Iida Nariakis rotes Blut spritzte mir ins Gesicht.
Als er vornüber in die Knie sackte, schlug Jato wieder zu, und sein Kopf sprang vor meine Füße, der Blick immer noch zornentbrannt, die Lippen stark verzerrt.
Jene Szene hat sich mir ins Gedächtnis eingebrannt, doch sonst kaum etwas. Es blieb keine Zeit, um Angst zu spüren, keine Sekunde, um zu überlegen. Die Bewegungsabläufe, die Shigeru und Matsuda mich gelehrt hatten, flossen von meinem Arm ins Schwert, jedoch ohne bewussten Willen. Als Nariaki tot war, drehte ich mich nach Shun um, blinzelte den Schweiß aus meinen Augen und sah Jo-An an seiner Seite; der Ausgestoßene hielt auch das Pferd meines Gegners.
»Bring sie in Sicherheit!«, schrie ich. Hiroshi hatte, was das Gelände anging, Recht behalten. Während wir vorrückten und die Truppen der Tohan und Seishuu immer weiter zurückdrängten, wurde das Getümmel immer schlimmer. Verschreckte Pferde traten in Schlaglöcher, brachen sich die Beine oder wurden an die Felsen gedrückt, konnten weder vor noch zurück, gerieten in Panik.
Geschickt wie ein Affe kletterte Jo-An auf
Weitere Kostenlose Bücher