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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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verändert!«, rief sie. »Lord Otori Takeo und ich haben in Terayama geheiratet. Wir haben uns in Maruyama niedergelassen. Davon müssen Sie doch gehört haben.«
    »Es fiel mir schwer, es zu glauben«, entgegnete er. »Schließlich dachte jeder, Sie wären mit Lord Fujiwara verlobt und würden ihn heiraten.«
    »Es hat nie eine Verlobung gegeben!«, fuhr sie ihn zornig an. »Wie können Sie es wagen, meine Heirat in Frage zu stellen!«
    Sie bemerkte die Anspannung seiner Kiefermuskeln und spürte, dass er ebenso wütend war wie sie. Er beugte sich vor. »Was sollen wir denn denken?«, zischte er. »Wir erfahren von einer Hochzeit, die ohne vorangegangene Verlobung stattfindet, ohne dass eine Einwilligung eingeholt oder erteilt worden wäre, bei der niemand von Ihrer Familie anwesend war. Ich bin froh, dass Ihr Vater bereits tot ist. Die Schande, die Sie ihm bereiteten, brachte ihn um, aber wenigstens ist ihm diese neuerliche Demütigung erspart geblieben…«
    Er hielt inne. Sie starrten einander an, beide schockiert von seinem Ausbruch.
    Ich muss ihm das Leben nehmen, dachte Kaede entsetzt. Er kann unmöglich so zu mir sprechen und am Leben bleiben. Aber ich brauche ihn. Wer sonst soll sich an meiner Stelle hier um alles kümmern? Mit einem Mal beschlich sie die Angst, dass er versuchen könnte, die Domäne an sich zu reißen, und er seine Wut nur einsetzte, um Ehrgeiz und Machtgier zu überspielen. Sie fragte sich, ob er inzwischen wohl jene Männer kontrollierte, die sie und Kondo im letzten Winter zusammengezogen hatten - ob sie seinen Befehlen wohl folgen würden. Sie wünschte, Kondo wäre da gewesen, doch dann wurde ihr klar, dass sie ihm als Stammesangehörigen noch weniger trauen konnte als dem ältesten Gefolgsmann ihres Vaters. Niemand konnte ihr helfen. Bemüht, sich ihre Befürchtungen nicht anmerken zu lassen, blickte sie Shoji weiterhin unverwandt an, bis er die Augen niederschlug.
    Er hatte seine Fassung wiedergewonnen, wischte sich den Speichel von den Lippen. »Vergeben Sie mir. Ich kenne Sie seit Ihrer Geburt. Es ist meine Pflicht, zu Ihnen zu sprechen, auch wenn es mich schmerzt.«
    »Ich werde Ihnen dieses Mal noch verzeihen«, sagte sie. »Doch Sie sind es, der meinen Vater beschämt, indem Sie es seiner Erbin gegenüber an Respekt fehlen lassen. Wenn Sie jemals wieder in dieser Art und Weise mit mir reden, werde ich Ihnen befehlen, sich den Bauch aufzuschlitzen.«
    »Sie sind nur eine Frau«, sagte er in der Absicht, sie zu beschwichtigen, aber es heizte ihren Zorn nur weiter an. »Sie haben niemanden, der Sie leitet.«
    »Ich habe meinen Mann«, erwiderte sie knapp. »Es gibt nichts, was Sie oder Lord Fujiwara daran ändern könnten. Sie werden sich nun zu ihm begeben und ihm mitteilen, dass meine Schwestern umgehend heimkehren sollen. Beide werden mit mir nach Maruyama zurückreisen.«
    Er ging sofort. Nach diesem Schock und mit ihrer inneren Unruhe war es ihr unmöglich, still sitzen zu bleiben, bis er zurückkam. Sie ließ Hiroshi rufen, führte ihn durch das Haus und den Garten und prüfte dabei alle Reparaturen, die sie im vergangenen Herbst hatte vornehmen lassen. Die Ibisse, die ihr Sommergefieder angelegt hatten, durchkämmten die Gräben der Reisfelder nach Futter, und der Raubwürger schalt weiter auf sie ein, weil sie in sein Territorium eindrangen. Schließlich ließ sie Hiroshi die Kisten mit den Aufzeichnungen holen und gemeinsam machten sie sich, jeder eine Kiste tragend, auf den Weg flussaufwärts, folgten dem Shirakawa oder Weißen Fluss bis hin zu jener Stelle, wo er unterhalb des Bergs entsprang. Kaede würde sie nirgends verstecken, wo Shoji sie finden konnte; sie würde sie keinem menschlichen Wesen anvertrauen. Sie hatte sich entschlossen, die Schriften der Göttin zu überantworten.
    Der geweihte Ort beruhigte sie, wie immer, doch seine zeitlose, heilige Atmosphäre flößte ihr eher Ehrfurcht ein, als ihre Stimmung zu heben. Unter dem gewaltigen Bogen des Höhleneingangs floss der Fluss ruhig und gemächlich in tiefen Becken grünen Wassers, seinen Namen Lügen strafend, und im Halbdunkel schimmerten die bizarr geformten Kalkfelsen, als wären sie mit Perlmutt überzogen.
    Das alte Ehepaar, das den Schrein in Stand hielt, kam heraus, um Kaede zu begrüßen. Sie überließ Hiroshi der Gesellschaft des Alten und ging mit seiner Frau hinein, jede eine der Kisten tragend.
    Im Inneren der Höhle brannten Lampen und Kerzen und die feuchten Felsen funkelten. Das Tosen des

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