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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Kaede bis zu Takeos Rückkehr keine Entscheidungen treffen konnte und jeden Tag mit ihm zu rechnen war, verbrachte sie die meiste Zeit, vor dem lackierten Schreibtisch kniend, mit dem Kopieren der Aufzeichnungen über den Stamm. In der Residenz waren sämtliche Türen weit geöffnet, um den leisesten Windhauch einzufangen, und das Schrillen der Insekten war ohrenbetäubend. Von ihrem Lieblingszimmer aus konnte sie die Teiche und den Wasserfall überblicken; zwischen den Azaleensträuchern schimmerte silbrig der verwitterte Teepavillon. Jeden Tag sagte sie sich, dass sie an diesem Abend dort für Takeo den Tee zubereiten würde, und jeden Tag wurde ihre Hoffnung enttäuscht. Zuweilen besuchten Eisvögel die Teiche, dann lenkte das Aufblitzen von Blau und Orange Kaede für ein paar Augenblicke ab. Einmal landete ein Reiher draußen vor der Veranda, und sie hielt es für ein Zeichen, dass er an diesem Tag zurückkommen würde, doch er kam nicht.
    Sie ließ niemanden sehen, woran sie schrieb, denn schnell wurde ihr klar, wie bedeutsam die Aufzeichnungen waren. Kaede fand Shigerus Entdeckungen verblüffend und fragte sich, ob jemand vom Stamm ihm wohl als Informant gedient hatte. Jeden Abend versteckte sie die Originale und Kopien an unterschiedlichen Stellen und versuchte sich so viel wie möglich einzuprägen. Die Vorstellung, dass ein geheimes Netzwerk existierte, ließ sie nicht mehr los; sie hielt überall Ausschau nach Anzeichen, traute niemandem mehr, obwohl Takeos erste Maßnahme im Schloss von Maruyama gewesen war, das gesamte Personal zu überprüfen. Es erschreckte sie, wie weit verzweigt das System des Stamms war; wie konnte Takeo ihnen auf Dauer entkommen? Schließlich kehrte der Gedanke immer wieder, dass er ihnen bereits in die Hände gefallen war, dass er tot irgendwo lag und sie ihn nie wieder sehen würde.
    Er hatte Recht, dachte sie. Man muss sie alle töten; sie müssen vernichtet werden, denn sie trachten danach, ihn zu vernichten. Und mit ihm vernichten sie auch mich.
    Oft tauchten die Gesichter von Shizuka und Muto Kenji vor ihrem geistigen Auge auf. Sie bereute ihr Vertrauen in Shizuka und fragte sich, wie viele private Dinge über sie von ihr wohl an den Stamm weitergegeben worden waren. Kaede hatte daran geglaubt, dass sowohl Shizuka als auch Kenji sie wirklich mochten; war all diese Zuneigung nur vorgetäuscht gewesen? Damals im Schloss von Inuyama hätten sie beinahe zusammen den Tod gefunden; zählte das gar nichts? Sie fühlte sich von Shizuka betrogen, doch zugleich sehnte sie sich furchtbar nach ihr und wünschte sich jemanden wie sie, dem sie sich hätte anvertrauen können.
    Ihre monatliche Blutung kam, enttäuschte sie aufs Neue und bewirkte, dass sie sich eine ganze Woche lang zurückzog. Nicht einmal Hiroshi durfte sie besuchen. Als es vorüber war, waren auch die Kopien fertig, und ihre Unruhe steigerte sich noch mehr. Das Totenfest ging vorüber und hinterließ Trauer und Kummer um die Verstorbenen bei ihr. Die Ausbesserungsarbeiten an der Residenz, die sich den ganzen Sommer über hingezogen hatten, wurden abgeschlossen, und die Räume sahen zwar schön aus, wirkten aber leer und unbelebt. »Warum leistet Ihre Schwester Ihnen nicht Gesellschaft?«, fragte Hiroshi eines Morgens und Kaede, einer plötzlichen Eingebung folgend, antwortete: »Sollen wir nicht zu meinem Haus reiten und sie holen?«
    Eine ganze Woche lang war der Himmel erdrückend grau gewesen, als drohte ein Taifun, dann aber hatte es plötzlich aufgeklart und die Hitze war ein wenig abgeklungen. Die Nächte waren nun kühler, es schien der ideale Zeitpunkt für eine Reise zu sein. Sugita versuchte sie davon abzubringen und selbst die Ältesten, die sich sonst so rar machten, erschienen einer nach dem anderen bei ihr, um sich dagegen auszusprechen, doch sie ignorierte es. Shirakawa war lediglich zwei, drei Tagesreisen weit entfernt. Falls Takeo vor ihrer Rückkehr nach Hause kam, konnte er ihr nachreiten und sie dort treffen. Außerdem würde die Reise sie davon abhalten, sich von morgens bis abends in Sorgen zu ergehen.
    »Wir können nach Ihren Schwestern schicken lassen«, schlug Sugita vor. »Es ist eine hervorragende Idee; ich hätte selber darauf kommen sollen. Ich werde sie eskortieren.«
    »Ich muss selbst gehen und mir ein Bild vom Zustand meines Hauses machen«, erwiderte sie. Nun, da sich die Idee in ihrem Kopf festgesetzt hatte, konnte sie sie unmöglich wieder aufgeben. »Seit meiner Hochzeit habe ich nicht

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