Der Glanz des Mondes
Stoß, auf den kein weiterer folgte, aber Ayako war den ganzen Heimweg über fahrig und nervös.
»Der Geist Ihres Vaters hat zu Ihnen gesprochen«, sagte sie leise zu Kaede. »Was hat er gesagt?«
»Er hat alles gutgeheißen, was ich getan habe«, erwiderte sie mit einer Sicherheit, die sie nicht verspürte. Im Gegenteil, der Erdstoß hatte sie schockiert. Sie fürchtete den erzürnten, verbitterten Geist ihres Vaters und spürte, dass er alles in Frage stellte, was sie in den Heiligen Höhlen zu Füßen der Göttin empfunden hatte.
»Der Himmel sei gepriesen«, sagte Ayako, aber ihre Lippen pressten sich fest zusammen und noch den ganzen Rest des Abends warf sie Kaede ängstliche Blicke zu.
»Übrigens«, sagte Kaede, als sie beim Abendessen saßen. »Wo ist eigentlich Sonoda, Akitas Neffe?« Der junge Mann war im vergangenen Winter mit seinem Onkel zu ihr gekommen und sie hatte ihn als Geisel bei sich behalten, in Shojis Obhut. Nun fiel ihr wieder ein, dass sie ihn vielleicht brauchen würde.
»Er erhielt die Erlaubnis, nach Inuyama zurückzukehren«, sagte Ayako.
»Wie bitte?« Shoji hatte ihre Geisel freigegeben? Sie konnte nicht glauben, dass er einen derartigen Verrat begangen haben sollte.
»Es hieß, sein Vater sei erkrankt«, erklärte Ayako.
Also war ihre Geisel fort, was ihre Macht noch weiter minderte.
Es dämmerte bereits, als sie von draußen Shojis Stimme vernahm. Hiroshi hatte Amano nach Hause begleitet, um dessen Familie kennen zu lernen und dort zu übernachten, und Kaede hatte im Zimmer ihres Vaters gewartet und war die Bücher des Anwesens durchgegangen. Sie erkannte viele Anzeichen von Misswirtschaft, und als deutlich wurde, dass Shoji allein zurückgekehrt war, steigerte sich ihr Zorn auf den ältesten Gefolgsmann ihres Vaters noch mehr.
Er trat ein, gefolgt von Ayako, die Tee brachte, doch Kaede war zu ungeduldig, um davon zu trinken.
»Wo sind meine Schwestern?«, wollte sie wissen.
Shoji trank dankbar den Tee, ehe er antwortete. Er wirkte müde und erhitzt. »Lord Fujiwara ist über Ihre Rückkehr erfreut«, sagte er. »Er entbietet Ihnen seine Grüße und bittet Sie, ihn morgen zu besuchen. Er wird seine Sänfte und eine Eskorte schicken.«
»Ich habe nicht die Absicht, ihn zu besuchen«, gab sie zurück, bemüht, nicht die Beherrschung zu verlieren. »Ich erwarte, dass man mir meine Schwestern bis morgen zurückbringt, und dann werden wir so schnell wie möglich nach Maruyama aufbrechen.«
»Ich fürchte, Ihre Schwestern sind nicht dort«, sagte er.
Ihr Herz krampfte sich zusammen. »Wo sind sie?«
»Lord Fujiwara lässt ausrichten, dass Lady Shirakawa sich keine Sorgen zu machen braucht. Sie sind vollkommen in Sicherheit und er wird Ihnen mitteilen, wo sie sich aufhalten, wenn Sie ihn morgen besuchen.«
»Sie wagen es, mir eine solche Nachricht zu überbringen?« Ihre Stimme klang dünn und wenig überzeugend, selbst für ihre eigenen Ohren.
Shoji senkte den Kopf. »Ich tue es nicht gern. Aber Lord Fujiwara ist der, der er ist; ich kann mich ihm nicht widersetzen oder ihm den Gehorsam verweigern, und ich denke, Sie können es ebenso wenig.«
»Dann sind sie nun also Geiseln?«, fragte sie leise.
Er antwortete nicht direkt, sondern sagte nur: »Ich werde Anweisung geben, alles für Ihre morgige Reise vorzubereiten. Soll ich Sie begleiten?«
»Nein!«, rief sie aus. »Und wenn ich reise, dann zu Pferde. Ich warte nicht auf seine Sänfte. Sagen Sie Amano, dass ich meinen Grauschimmel reite und dass er mit mir kommen wird.«
Einen Augenblick lang hatte sie den Eindruck, er würde einen Disput mit ihr beginnen, doch dann verneigte er sich tief und ließ es dabei bewenden.
Als er gegangen war, überschlugen sich ihre Gedanken. Wenn sie Shoji schon nicht mehr vertrauen konnte, welchen Männern der Domäne konnte sie dann noch trauen? Versuchten sie sie in eine Falle zu locken? Das würde mit Sicherheit nicht einmal Fujiwara wagen.
Schließlich war sie inzwischen verheiratet. Einen Moment lang erwog sie, auf der Stelle nach Maruyama zurückzukehren; im nächsten Augenblick wurde ihr klar, dass Ai und Hana als Geiseln festgehalten wurden, und sie spürte, wie erpressbar sie dadurch war.
So müssen meine Mutter und Lady Naomi gelitten haben, dachte sie. Ich muss Fujiwara aufsuchen und mit ihm über ihre Freilassung verhandeln. Er hat mir damals seine Hilfe gewährt. Er wird sich nun nicht ganz und gar gegen mich stellen.
Dann begann sie sich darum zu sorgen, was sie mit
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