Der Glanz des Mondes
mehr mit meinen Männern gesprochen. Ich hätte schon vor Wochen reisen sollen. Ich muss meine Ländereien kontrollieren und dafür sorgen, dass die Ernte eingebracht wird.«
Sie sagte Sugita nichts davon, aber insgeheim gab es noch einen weiteren Grund für die Reise, etwas, was ihr schon den ganzen Sommer über durch den Kopf gegangen war. Sie würde die Heiligen Höhlen von Shirakawa besuchen, das reine Wasser des Flusses trinken und zur Göttin beten, damit sie ihr ein Kind schenkte.
»Ich werde nur ein paar Tage fortbleiben.«
»Ich fürchte, Ihr Mann wird darüber nicht erfreut sein.«
»Er vertraut meinen Entscheidungen in allen Angelegenheiten«, erwiderte sie. »Und überhaupt, ist nicht auch Lady Naomi oft allein gereist?«
Da er es gewohnt war, von einer Frau Befehle zu erhalten, schaffte sie es schließlich, seine Zweifel auszuräumen. Sie wählte Amano als Begleiter und dazu ein paar ihrer eigenen Männer, die sie schon begleitet hatten, als sie im Frühjahr nach Terayama aufgebrochen war. Nach einiger Überlegung nahm sie keine ihrer Dienerinnen mit, nicht einmal Manami. Sie wollte schnell vorankommen, zu Pferde und ohne all die Förmlichkeiten und jene Würde, mit der sie sich hätte abfinden müssen, wenn sie offiziell reiste. Manami verlegte sich zunächst aufs Bitten und schmollte dann, aber Kaede blieb hart.
Sie ritt Raku und lehnte es sogar ab, eine Sänfte mitzunehmen. Vor ihrer Abreise hatte sie eigentlich geplant, die Kopien der Schriften unter dem Boden des Teepavillons zu verstecken, doch die Anzeichen von Illoyalität schreckten sie immer noch, und schließlich fand sie es unerträglich, die Papiere irgendwo zu lassen, wo sie gefunden werden konnten. Sie entschied, beide Ausfertigungen mitzunehmen, eventuell würde sie die Originale irgendwo in ihrem Haus in Shirakawa verstecken. Nach langem Bitten erhielt Hiroshi die Erlaubnis mitzukommen und sie nahm ihn beiseite und ließ ihn schwören, die Kisten während der Reise nicht aus den Augen zu lassen. In letzter Sekunde nahm sie noch das Schwert mit, das Takeo ihr gegeben hatte.
Amano überredete Hiroshi, das Schwert seines Vaters zurückzulassen, aber der Junge nahm einen Dolch mit, seinen Bogen sowie einen kleinen, temperamentvollen Rotschimmel aus den Ställen seiner Familie, der den ganzen ersten Tag über verrückt spielte und bei den Männern für endlose Heiterkeit sorgte. Zweimal machte er auf der Stelle kehrt, ging durch und preschte den Weg zurück, der nach Hause führte, bis der Junge ihn schließlich wieder unter Kontrolle bekam und die anderen einholte, das Gesicht vor Wut dunkelrot angelaufen, ansonsten aber unverzagt.
»Ein hübscher Kerl, dein Pferd, aber noch unerfahren«, sagte Amano. »Und du machst ihn nervös. Halte die Zügel locker, entspanne dich.«
Er ließ Hiroshi an seiner Seite reiten, und das Pferd beruhigte sich und bereitete am nächsten Tag keine Probleme mehr. Kaede war froh, unterwegs zu sein. Es hielt sie davon ab zu grübeln, wie sie es sich erhofft hatte. Das Wetter war schön, das Land stand in voller Pracht und die Aussicht, nach Monaten endlich Heimat und Familie wiederzusehen, stimmte die Männer fröhlich. Hiroshi erwies sich als guter Weggefährte und versorgte sie mit immer neuen Informationen über die Gegenden, durch die sie kamen.
»Ich wünschte, mein Vater hätte mir ebenso viel beigebracht wie dein Vater dir«, sagte Kaede, beeindruckt von seinem Wissen. »In deinem Alter war ich eine Geisel im Schloss der Noguchi.«
»Er hat mich immer nur lernen lassen. Nicht eine Sekunde durfte ich vergeuden.«
»Das Leben ist kurz und zerbrechlich«, sagte Kaede. »Vielleicht wusste er, dass er dich nicht aufwachsen sehen würde.«
Hiroshi nickte und ritt eine Weile schweigend weiter.
Er vermisst seinen Vater sicher, aber er wird es nicht zeigen, dachte sie und merkte, wie sie ihm seine Erziehung neidete. So werde ich meine Kinder auch aufwachsen lassen; Mädchen wie Jungen sollen alles beigebracht bekommen und lernen stark zu sein.
Am Morgen des dritten Tages überquerten sie den Fluss Shirakawa und betraten damit das Gebiet der Domäne von Kaedes Familie. Der Fluss war flach und leicht zu durchwaten, schnell wirbelte das weiße Wasser zwischen den Felsen dahin. An der Grenze gab es keine Sperre; sie befanden sich nun außerhalb der Gerichtsbarkeit der großen Clans und in einer Region kleinerer Gutsbesitzer, wo Nachbarn entweder in unbedeutende Querelen verwickelt waren oder
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