Der Glanz des Mondes
wunderschöne Gegend nicht verlassen wollte. Sein Bild, seine anziehende und faszinierende Persönlichkeit, erstand vor ihrem geistigen Auge. Sie erinnerte sich daran, wie er stets den Eindruck erweckt hatte, sie zu mögen und zu bewundern. Es war ganz unvorstellbar, dass er ihr Leid zufügen könnte. Doch ihre Sinne waren in erhöhter Alarmbereitschaft. Ist dies etwa das Gefühl in eine Schlacht zu ziehen, dachte sie, dass einem das Leben schöner und zugleich vergänglicher denn je erscheint, als könnte man es in ein und demselben Atemzug beim Schöpfe packen oder wegwerfen?
Sie tastete mit der Hand nach ihrem Schwert im Gürtel, verspürte Sicherheit, als sie den Knauf fühlte.
Nur noch wenige Meilen trennten sie von der Residenz Fujiwaras, als in einiger Entfernung auf der Straße eine Staubwolke auftauchte, aus der ihnen die Sänftenträger und Reiter entgegenkamen, die der Edelmann gesandt hatte, um Kaede abzuholen. Ihr Anführer erspähte das Wappen des Silberflusses auf Amanos Überrock und zog die Zügel an, um ihn zu grüßen. Sein Blick schweifte über Kaede hinweg, dann traten seine Halsmuskeln plötzlich hervor und die Augen schossen überrascht zu ihr zurück.
»Lady Shirakawa!«, keuchte er, und zu den Trägern brüllte er hinüber: »Nieder! Nieder mit euch!«
Sie ließen die Sänfte fallen und knieten sich in den Staub. Die Reiter saßen ab und nahmen mit gesenkten Köpfen Aufstellung. Sie wirkten respektvoll, aber Kaede bemerkte ihre zahlenmäßige Überlegenheit sofort; es waren doppelt so viele Männer wie ihre.
»Ich bin auf dem Weg, um Seiner Lordschaft einen Besuch abzustatten«, sagte sie. Sie erkannte den Gefolgsmann, konnte sich jedoch nicht an seinen Namen erinnern. Damals war er immer gekommen, um sie zu Lord Fujiwara zu eskortieren.
»Ich bin Murita«, sagte er. »Würden Lady Shirakawa es nicht vorziehen, getragen zu werden?«
»Ich werde reiten«, erwiderte sie knapp. »Wir sind ja fast schon da.«
Murita hatte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Es missfällt ihm, dachte sie und wechselte einen kurzen Blick mit Amano und Hiroshi, die nun neben ihr ritten. Amanos Miene verriet keine Gefühlsregung, aber auf Hiroshis Haut zeichnete sich eine Rötung ab. Schämen sie sich meiner? Beschäme ich mich selbst und sie dazu? Kaede straffte ihren Rücken und trieb Raku vorwärts. Murita schickte zwei seiner Männer voraus, was ihr ungutes Gefühl über den bevorstehenden Empfang verstärkte, doch sie wusste sich keinen anderen Rat als weiterzureiten.
Die Pferde spürten ihre Angst. Raku brach ein wenig aus, die Ohren in Habachtstellung, mit rollenden Augen, und Hiroshis Pferd warf den Kopf hoch und versuchte zu bocken. Die Fingerknöchel des Jungen traten weiß hervor, während er die Zügel umklammerte und es wieder unter Kontrolle brachte.
Als sie die Residenz erreichten, stand das Tor offen und bewaffnete Posten hatten im Hof Aufstellung genommen. Amano saß ab und kam, um Kaede von Rakus Rücken herunterzuhelfen.
»Ich werde nicht absteigen, ehe Lord Fujiwara erscheint«, sagte sie kühn. »Ich beabsichtige nicht zu bleiben.«
Murita zögerte, unwillig, eine solche Nachricht zu überbringen.
»Sagen Sie ihm, dass ich da bin«, drängte sie.
»Lady Shirakawa.« Er verneigte sich und saß ab, aber in diesem Moment näherte sich Lord Fujiwaras junger Gefährte, Mamoru, der Schauspieler, vom Haus und kniete vor Kaedes Pferd nieder.
»Willkommen, Lady«, sagte er. »Bitte kommen Sie doch herein.«
Sie hatte Angst, dass sie, wenn sie es tat, es nie wieder verlassen würde. »Mamoru«, sagte sie abweisend, »ich werde nicht hineingehen. Ich bin gekommen, um zu erfahren, wo meine Schwestern sind.«
Er erhob sich und trat von rechts an ihr Pferd, wodurch er sich zwischen sie und Amano drängte. Er, der sie bislang so gut wie nie direkt angeschaut hatte, schien ihren Blick nun geradezu zu suchen.
»Lady Shirakawa«, begann er und sie nahm einen gewissen Unterton in seiner Stimme wahr.
»Steig wieder auf«, sagte sie zu Amano und er gehorchte augenblicklich.
»Bitte«, sagte Mamoru leise. »Es ist das Beste, wenn Sie sich fügen. Ich bitte Sie. Um Ihretwillen, für Ihre Männer, für den Jungen…«
»Wenn Lord Fujiwara nicht herkommen will, um mit mir zu sprechen und mir zu sagen, was ich wissen möchte, habe ich hier nichts weiter verloren.«
Sie sah nicht, wer den Befehl gab. Sie bemerkte nur, wie Mamoru und Murita einen raschen Blick wechselten.
»Reite!«,
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