Der Glanz des Mondes
Bogenschütze nicht dort geblieben war, von wo er den tödlichen Pfeil abgeschossen hatte. Wahrscheinlich war er Richtung Südwesten weitergewandert, um uns an der Kurve, wo die Straße wieder nach Süden zurückführte, den Weg abzuschneiden. Doch selbst wenn er uns immer noch beobachtete, würde er nicht wissen, wo ich mich in diesem Augenblick befand - falls er nicht über hervorragend ausgebildete Stammesfähigkeiten verfügte.
Es dauerte nicht lange, bis ich die Atemgeräusche eines Mannes hörte und den leichten Druck eines Fußes auf weichem Boden. Ich blieb stehen und hielt meinen eigenen Atem an. Er lief in etwa zehn Schritt Entfernung an mir vorüber, ohne mich zu sehen.
Es war Kikuta Hajime, der junge Ringer aus Matsue, mit dem ich trainiert hatte. Das letzte Mal hatte ich ihn im Ringerlager gesehen, als ich mit Akio zusammen nach Hagi aufgebrochen war. Damals hatte ich den Eindruck gehabt, er rechnete nicht damit, mich jemals wiederzusehen. Aber Akio war es nicht gelungen, mich wie geplant umzubringen, und nun hatte man Hajime auf mich angesetzt. Der große Bogen hing ihm über der Schulter; er bewegte sich, wie die meisten kräftigen Männer, auf den Außenkanten seiner Füße balancierend, flink und leise, trotz seines Gewichts. Nur Ohren wie meine konnten ihn wahrnehmen.
Ich folgte ihm bis zur Straße, wo ich vor uns die Pferde hörte, im raschen Trab, als wären ihre Reiter auf der Flucht. Einer der Männer meiner Garde rief Makoto sogar zu, er solle schneller reiten, und nannte ihn Lord Otori; ich grinste bitter über die Täuschung. Mein Opfer und ich eilten den Hang hinauf und wieder hinunter und kamen an einem steinigen Felsvorsprung heraus, von wo aus man die weiter unten verlaufende Straße gut überblicken konnte.
Hajime stemmte die Füße fest auf den Felsen und nahm seinen Bogen von der Schulter. Er legte den Pfeil an; ich hörte sein tiefes Einatmen, als er die Sehne spannte. Seine Muskeln an den Armen traten hervor und die im Nacken schlugen kleine Wellen. Im direkten Zweikampf mit ihm hätte ich keine Chance gehabt. Ich konnte ihn wahrscheinlich mit Jato erwischen, wenn ich von hinten kam, aber dann musste ihn gleich der erste Schlag tödlich treffen und ich wollte ihn lebend.
Er stand reglos da und wartete darauf, dass sein Ziel unter den Bäumen auftauchen würde. Sein Atem war nun fast nicht mehr zu hören. Ich kannte die Technik, die er benutzte, und das Training, das er durchlaufen hatte, war mir vertraut genug, um zu erkennen, dass er vollkommen konzentriert war. Er war eins mit dem Bogen, mit dem Pfeil. Es war ganz sicher ein erhebender Anblick, aber das Einzige, was ich verspürte, war mein Wunsch, ihn leiden und sterben zu sehen. Mir blieben nur wenige Augenblicke zum Überlegen.
Ich trug immer noch die Waffen des Stamms bei mir, darunter auch eine Anzahl Wurfmesser. Ich war kein Experte im Umgang mit ihnen, aber in diesem Moment schienen sie genau das zu sein, was ich brauchte. Nach meinem Unterwasserabenteuer im Hafen der Piraten hatte ich die Messer getrocknet und eingeölt; mühelos glitten sie aus ihrem Futteral. Als die Pferde sich unten näherten, sprang ich, noch immer unsichtbar, aus meinem Versteck und warf im Laufen die Messer.
Die ersten beiden flogen an ihm vorbei, durchbrachen seine Konzentration und er drehte sich nach mir um. Hajime blickte über meinen Kopf hinweg, mit derselben irritierten Miene wie schon damals beim Training, als ich meine Unsichtbarkeit eingesetzt hatte. Es reizte mich zum Lachen und tat mir zugleich unaussprechlich Leid. Das dritte Messer traf seine Wange; die vielen Spitzen ließen sofort Blut fließen. Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück und ich sah, dass er unmittelbar am Abgrund stand. Ich zielte mit den nächsten beiden Messern ebenfalls auf sein Gesicht und wurde direkt vor ihm wieder sichtbar. Jato sprang in meine Hand. Er warf sich nach hinten, um dem Hieb auszuweichen, stürzte über den Rand hinab und landete mit einem dumpfen Schlag fast unter den Hufen der Pferde.
Der Aufprall hatte ihm den Atem verschlagen und seine Wangen und Augenbrauen bluteten, dennoch kostete es uns sogar zu fünft mehr als nur ein kurzes Handgemenge, um ihn zu überwältigen. Er gab keinen einzigen Laut von sich, aber seine Augen funkelten vor Wut und Boshaftigkeit. Ich musste mich entscheiden, ihn entweder auf der Stelle zu töten oder ihn nach Maruyama zurückzuschleifen, um dort einen langsamen Tod für ihn zu ersinnen, der meine Trauer
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