Der Glanz des Mondes
doch später in Terayama kamen mir die Worte, die Shigeru kurz vor seinem Tod sprach, wieder in den Sinn und enthüllten mir den wahren Sinn ihrer Rede.«
»Kannst du es nicht in Worte fassen?«
»Nein, aber es ist wahr, und ich richte mein Leben danach aus. Es gibt keine Unterschiede zwischen den Menschen. Unsere gesellschaftliche Stellung und auch unsere Überzeugungen sind Illusionen, die sich zwischen uns und die Wahrheit stellen. So verfährt der Himmel mit allen Menschen und ich muss es genauso tun.«
»Ich bin dir gefolgt, weil ich dich liebe und weil ich an die Gerechtigkeit unserer Sache glaube«, erwiderte er lächelnd. »Mir war nicht bewusst, dass du dich auch als mein spiritueller Führer erweisen solltest!«
»Ich weiß nichts über spirituelle Dinge«, sagte ich, in der Annahme, dass er sich über mich lustig machte. »Ich habe dem Glauben meiner Kindheit abgeschworen und kann stattdessen auch keinen anderen annehmen. Alle religiösen Lehren scheinen zur Hälfte aus tiefen Wahrheiten und zur anderen aus ausgemachtem Unsinn zu bestehen. Menschen klammern sich an ihren Glauben, als könnte er sie retten, aber jenseits all dieser Lehren gibt es einen Ort der Wahrheit, an dem die Dinge alle zusammenlaufen.«
Makoto lachte. »Du scheinst in deiner Unwissenheit mehr Einsicht zu haben als ich nach Jahren des Studierens und Debattierens. Was hat die Heilige noch zu dir gesagt?«
Ich wiederholte ihm die Worte der Prophezeiung: »›Dreierlei Blut ist in dir vermischt. Du wurdest bei den Verborgenen geboren, doch dein Leben ist ins Offene gebracht worden und gehört nicht mehr nur dir. Die Erde wird vollbringen, was der Himmel begehrt. Dein Land wird sich von Meer zu Meer erstrecken. Fünf Schlachten werden dir den Frieden bringen, vier Mal wirst du den Sieg davontragen, ein Mal musst du dich geschlagen geben.‹«
Ich hielt inne, unsicher, ob ich noch mehr erzählen sollte.
»Fünf Schlachten?«, sagte Makoto. »Wie viele haben wir schon ausgefochten?«
»Zwei, wenn wir Jin-emon und seine Banditen mitzählen.«
»Deswegen hast du mich also gefragt, ob dieses Gefecht als Schlacht bezeichnet werden könnte! Glaubst du denn an all das?«
»Die meiste Zeit schon. Sollte ich es nicht?«
»Ich würde ihr alles glauben, wenn ich das Glück hätte, vor ihr zu knien«, sagte er leise. »Und was hat sie noch gesagt?«
»›Viele müssen sterben‹«, zitierte ich, »›doch du bist sicher vor dem Tod, außer durch die Hände deines eigenen Sohns.‹«
»Das tut mir Leid«, sagte er mitfühlend. »Das ist für jeden Mann eine furchtbare Bürde, besonders für jemanden wie dich, der zu Kindern eine so starke Verbindung hat. Sicher sehnst du dich danach, eigene Söhne zu haben.«
Es rührte mich, dass er mich so gut einzuschätzen wusste. »Als ich glaubte, Kaede für immer verloren zu haben, und zum Stamm kam, schlief ich mit dem Mädchen, das mir geholfen hatte, Shigeru aus dem Schloss in Inuyama zu befreien. Sie hieß Yuki. Sie war es, die seinen Kopf zum Tempel brachte.«
»Ich erinnere mich an sie«, sagte Makoto leise. »Ich werde ihre Ankunft bei uns nie vergessen. Und den Schock, den ihre Nachricht auslöste.«
»Sie war Muto Kenjis Tochter«, sagte ich, und wieder tat mir Kenjis Schicksal Leid. »Ich kann nicht glauben, dass der Stamm sie so für seine Zwecke benutzte. Sie wollten ein Kind, und als es geboren war, töteten sie Yuki. Ich bedauere es zutiefst und bereue mein Verhalten, nicht nur, was meinen Sohn angeht, sondern auch, weil sie deswegen sterben musste. Wenn es mein Sohn sein soll, der mich tötet, wird es nur das sein, was ich verdiene.«
»Jeder macht Fehler, wenn er jung ist«, erwiderte Makoto. »Es ist also unser Schicksal, mit den unabänderlichen Konsequenzen dieser Fehler leben zu müssen.«
Er streckte seine Hand aus und drückte die meine. »Ich bin froh, dass du mir all das erzählt hast. Es bestätigt mich in vielem, was mein Gefühl mir über dich sagte: dass du vom Himmel auserwählt wurdest und bis zu einem gewissen Grad geschützt bist, bis deine Ziele erreicht sind.«
»Ich wünschte, ich wäre vor Kummer geschützt«, sagte ich.
»Dann wärest du wirklich erleuchtet«, erwiderte er trocken.
Mit dem Vollmond kam ein Wetterumschwung. Die Hitze ließ nach, die Luft wurde klar. In den kühlen Morgenstunden machte sich sogar ein Anflug von Herbst bemerkbar. Als das Fest vorüber war, hob sich meine Stimmung wieder ein wenig. Andere Dinge, die der Abt gesagt hatte,
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