Der Glanz des Mondes
Vielleicht hatte ich sie nicht mit derselben Leidenschaft geliebt, die ich für Kaede empfand, aber ich hatte sie begehrt. Die Erinnerung daran weckte erneut die peinigende Sehnsucht in mir und ich weinte um ihren anmutigen Körper, der nun für immer schweigen würde.
Ich war froh, dass die Feierlichkeiten des Totenfestes mir Gelegenheit gaben, mich von ihrem Geist zu verabschieden. Ich zündete Kerzen für alle Toten an, die vor mir hatten gehen müssen, bat sie um Vergebung und darum, mich zu leiten. Ein Jahr war es nun her, dass Shigeru und ich am Ufer des Flusses von Yamagata unsere kleinen brennenden Boote mit der Strömung hinausgeschickt hatten, ein Jahr her, dass ich Kaedes Namen ausgesprochen hatte, ihr glühendes Gesicht sah und wusste, dass sie mich liebte.
Begierde quälte mich. Ich hätte mit Makoto schlafen können, um sie zu stillen, und damit zugleich seinen Kummer gelindert, aber obwohl ich oft versucht war, gab es etwas, das mich zurückhielt. Bei Tage, während ich stundenlang malte, sann ich über das vergangene Jahr nach und über alles, was ich in dieser Zeit getan hatte, über meine Fehler und all die Qualen und das Leid, die sie über diejenigen gebracht hatten, die mich umgaben. Abgesehen von meiner Entscheidung, mich dem Stamm anzuschließen, waren all diese Fehler, das wurde mir nun klar, unkontrolliertem Begehren entsprungen. Hätte ich nicht mit Makoto geschlafen, hätte seine Besessenheit ihn nicht dazu gebracht, Kaede vor ihrem Vater bloßzustellen. Hätte ich nicht mit ihr geschlafen, wäre sie nicht fast gestorben, als sie unser Kind verlor. Und hätte ich nicht mit Yuki geschlafen, wäre sie nun noch am Leben und der Sohn, der mich töten würde, wäre niemals geboren worden. Ich musste an Shigeru denken, der eine Heirat für sich selbst stets abgelehnt hatte und seine Dienerschaft durch seine Enthaltsamkeit verblüffte, weil er Lady Maruyama geschworen hatte, mit keiner anderen Frau als ihr zu schlafen. Ich wusste von keinem anderen Mann, der ein solches Gelöbnis abgelegt hatte, aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wollte ich es ihm auch in diesem Punkt gleichtun, so wie in allen anderen Dingen. Schweigend kniete ich vor der pferdeköpfigen Kannonfigur und gelobte der Göttin, dass meine ganze Liebe, geistig sowie körperlich, von nun an nur noch Kaede gebührte, meiner Frau.
Unsere Trennung hatte mir aufs Neue bewusst gemacht, wie sehr ich sie brauchte, dass sie der Ruhepol war, der meinem Leben Halt und Kraft verlieh. Meine Liebe zu ihr war das Gegenmittel zu all dem Gift, das Wut und Kummer in mich hineinjagten; wie jedes Gegenmittel hielt ich es gut versteckt und hütete es.
Auch Makoto, ebenso bekümmert wie ich, verbrachte lange, stille Stunden der Meditation. Tagsüber sprachen wir kaum, aber nach dem Abendessen unterhielten wir uns oft bis tief in die Nacht hinein. Natürlich hatte er die Worte gehört, die Hajime an mich gerichtet hatte, und versuchte nun etwas über Yuki und meinen Sohn aus mir herauszukriegen, aber zunächst ertrug ich es nicht, über die beiden zu reden. Dann aber, in der ersten Nacht nach dem Fest, nach unserer Rückkehr von der Küste, tranken wir zusammen ein wenig Wein. Erleichtert, dass die kühle Atmosphäre zwischen uns offenbar verflogen war, hatte ich das Gefühl, ihm, dem ich voll und ganz vertraute wie sonst keinem anderen, den Wortlaut der Prophezeiung erzählen zu müssen.
Er hörte aufmerksam zu, als ich ihm die alte blinde Frau beschrieb, ihre heilige Erscheinung, die Höhle, die Gebetsmühle und das Zeichen der Verborgenen.
»Ich habe von ihr gehört«, sagte er. »Viele, die nach Erleuchtung streben, machen sich auf die Suche nach ihr, aber ich habe noch niemanden getroffen, der den Weg zu ihr gefunden hätte.«
»Jo-An, der Ausgestoßene, brachte mich zu ihr.«
Er schwieg. Es war eine schwülwarme Nacht und alle Wandschirme standen offen. Der Vollmond ergoss sein Licht über den Schrein und den heiligen Hain. Am Kiesstrand toste das Meer. Ein Gecko flitzte an der Decke entlang, seine winzigen Füße saugten sich an den Balken fest. Moskitos sirrten und Motten umflatterten die Lampen. Ich löschte die Flammen, damit sie sich die Flügel nicht verbrannten; der Mond schien hell genug, um den Raum zu erleuchten.
Schließlich sagte Makoto: »Dann muss ich akzeptieren, dass er in der Gunst des Erleuchteten steht, so wie du.«
»Die Heilige sagte mir: ›Alles ist eins‹, fuhr ich fort, »was ich damals nicht verstand,
Weitere Kostenlose Bücher