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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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ihm zu folgen, und verschwand dann in dem Wald hinter unserem Haus.« Er hatte sichtlich Mühe, sich zu beherrschen, und stand auf. »Wir brechen sofort auf, nicht wahr? Ich gehe und mache die Pferde bereit.«
    Ich dachte an den Traum, in dem meine Mutter mir erschienen war, und fragte mich, was die Toten uns wohl zu sagen versuchten. Im fahlen Licht der Morgendämmerung wirkte der Schrein noch gespenstischer als schon zuvor. Er strahlte Bitterkeit und Feindseligkeit aus und ich konnte es nicht erwarten, endlich von dort fortzukommen.
    Die Pferde waren nach den Ruhetagen frisch und wir spornten sie an. Es war immer noch drückend heiß, graue Wolken zogen am Himmel, kein Luftzug regte sich. Ich warf einen letzten Blick zum Strand zurück, während wir den Klippenpfad hinaufritten, in Gedanken bei dem Fischer mit seinem Kind, dem einzigen, das ihm geblieben war; aber aus den Hütten drang kein Lebenszeichen. Alle waren nervös. Meine Ohren lauschten auf jedes verdächtige Geräusch, taten ihr Bestes, das Hufgetrappel der Pferde auszublenden, das Knarren und Klirren des Zaumzeugs, das dumpfe Rauschen des Meeres.
    Oben auf der Klippe hielt ich einen Moment an und blickte hinüber nach Oshima. Die Insel war in Nebel eingehüllt, aber eine schwere Wolkenkrone zeigte die Stelle, wo sie lag.
    Jiro hatte sein Pferd neben mir zum Stehen gebracht, die anderen ritten bereits in den Wald, der vor uns lag. Es folgte eine kurze Stille, und in diesem Augenblick hörte ich das unverkennbare Geräusch, eine Mischung aus Knarren und Seufzen, eine Bogensehne, die sich spannte.
    Ich brüllte Jiro eine Warnung zu, versuchte ihn zu packen und nach unten zu drücken, aber Shun sprang zur Seite, warf mich dabei fast aus dem Sattel und im nächsten Moment merkte ich, wie ich seinen Hals umklammerte. Jiro drehte den Kopf und blickte Richtung Wald. Zischend sauste der Pfeil über mich hinweg und traf ihn ins Auge.
    Er schrie vor Schreck und Schmerz auf; seine Hände schossen nach oben zum Gesicht, dann kippte er vornüber auf den Nacken seines Pferdes. Es wieherte erschrocken, bockte kurz und versuchte seinen Gefährten zu folgen, während sein Reiter auf ihm hilflos hin- und herschwankte.
    Shun streckte den Hals und flog über die Ebene auf die schützenden Bäume zu. Vor uns hatten Makoto und die Garde ihre Pferde gewendet. Einer der Männer kam uns entgegen und schaffte es, das panische Pferd am Zügel zu packen.
    Makoto hob Jiro vom Sattel, aber als ich bei ihnen ankam, war der Junge bereits tot. Der Pfeil hatte seinen Kopf durchbohrt, die Rückseite des Schädels durchschlagen. Ich stieg ab, schnitt den Schaft ab und zog die Spitze heraus. Der Pfeil war massiv und die Fiederung aus Adlerfedern. Der Bogen, der ihn abgeschossen hatte, musste groß sein, die Sorte, die wenige Bogenschützen benutzten.
    Der Kummer, der mich erfüllte, war fast unerträglich. Der Pfeil hatte mir gegolten. Wenn ich ihn nicht gehört hätte und ausgewichen wäre, würde Jiro noch leben. Blinde Wut schüttelte mich. Ich würde seinen Mörder töten oder selber sterben.
    »Es muss ein Hinterhalt sein«, flüsterte Makoto. »Lass uns in Deckung gehen und sehen, wie viele es sind.«
    »Nein, der Pfeil war mir zugedacht«, erwiderte ich, ebenfalls im Flüsterton. »Das ist das Werk des Stamms. Bleibt hier; geht in Deckung. Ich werde den Kerl verfolgen. Es ist nur einer - höchstens zwei.« Ich wollte die Männer nicht dabeihaben. Nur ich konnte mich lautlos und unsichtbar bewegen, nur ich hatte die Fähigkeit, nah genug an den Attentäter heranzukommen. »Kommt nach, wenn ich euch rufe. Ich will ihn lebend.«
    »Wenn es nur einer ist, dann lass uns lieber weiterreiten, statt in Deckung zu gehen. Gib mir deinen Helm; ich reite Shun. Wir können ihn vielleicht in die Irre führen. Er wird uns verfolgen und du kannst ihn von hinten angreifen.«
    Ich wusste nicht, wie gut diese Täuschung gelingen würde und wie nah der Schütze noch war. Er musste gesehen haben, dass der Pfeil mich verfehlt hatte. Also würde er wohl erraten, dass ich ihn verfolgte. Aber wenn meine Männer vorausritten, waren sie mir wenigstens nicht im Weg. Inzwischen konnte der Attentäter an jeder erdenklichen Stelle des Waldes sein, aber ich war sicher in der Lage, mich schneller und leiser zu bewegen als er. Als die Pferde mit ihrer traurigen Last davontrotteten, machte ich mich unsichtbar und rannte, im Zickzack zwischen den Bäumen hindurch, den Hang hinauf. Ich ging davon aus, dass der

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