Der Glanz des Mondes
fragen?«
»Nur zu.«
»Was soll ich hier tun? Womit verbringe ich meine Tage?«
»Du wirst tun, was Frauen eben so tun. Rieko wird dich unterweisen.«
»Darf ich meine Studien fortsetzen?«
»Ich denke, als Mädchen eine Ausbildung genossen zu haben war wohl eher ein Fehler. Es scheint deinem Charakter nicht sehr zuträglich gewesen zu sein. Du kannst ein wenig lesen - Konfuzius, schlage ich vor.«
Der Wind zerrte nun stärker am Haus. Hier, in der Mitte des Gebäudes, waren sie vor der vollen Wucht der Böen geschützt - trotzdem wackelten die Pfeiler und Querbalken und das Dach knarrte.
»Darf ich meine Schwestern sehen?«
»Wenn Lord Arai seinen Otorifeldzug beendet hat, könnten wir nach Inuyama reisen, etwa in einem Jahr.«
»Darf ich ihnen schreiben?«, fragte Kaede und spürte, wie der Zorn darüber in ihr hochstieg, dass sie um solche Dinge bitten musste.
»Wenn du die Briefe Ono Rieko zeigst.«
Die Flammen der Lampen flackerten im Luftzug und draußen heulte der Wind mit fast menschlicher Stimme. Kaede musste plötzlich an die Mädchen denken, mit denen sie im Schloss der Noguchi den Schlafraum geteilt hatte. In wilden, stürmischen Nächten, wenn der Wind sie alle wach hielt, hatten sie sich immer Schauergeschichten erzählt, um ihre Angst noch mehr anzuheizen. Nun kam es ihr vor, als würde sie dieselben gespenstischen Klagelaute hören, die sie damals schon im vielstimmigen Chor des Windes wahrzunehmen meinte. Die Schauergeschichten der Hausangestellten hatten allesamt von Mädchen ihres Alters gehandelt, die zu Unrecht getötet worden waren oder aus Liebe den Tod fanden, die von ihren Liebhabern verlassen, von ihren Ehemännern betrogen, von ihren Herren ermordet wurden. Und nun schrien ihre wütenden, eifersüchtigen Geister aus dem Reich der Schatten nach Gerechtigkeit. Kaede erschauerte.
»Ist dir kalt?«
»Nein, ich dachte gerade an Geister. Vielleicht hat mich einer von ihnen berührt. Der Sturm wird heftiger. Ist es ein Taifun?«
»Ich denke schon«, erwiderte er.
Takeo, wo bist du?, dachte sie. Bist du bei diesem Wetter irgendwo dort draußen? Denkst du in diesem Augenblick an mich? Ist es dein Geist, der mich verfolgt und mich zittern lässt?
Fujiwara musterte sie. »Eines der vielen Dinge, die ich an dir bewundere, ist deine Unerschrockenheit. Du zeigst keine Angst, weder bei Erdbeben noch bei Taifunen. Die meisten Frauen werden durch derlei Dinge in Panik versetzt. Das steht einer Frau natürlich besser an und du bist in deiner Kühnheit viel zu weit gegangen. Man muss dich vor ihr beschützen.«
Er darf nie erfahren, wie sehr ich mich davor fürchte, zu hören, dass sie tot sind, dachte sie. Am meisten, was Takeo angeht, aber bei Ai und Hana ebenso. Ich darf es niemals zeigen.
Fujiwara beugte sich leicht vor und deutete mit der einen bleichen, langfingerigen Hand auf den Kasten.
»Ich habe dir ein Hochzeitsgeschenk mitgebracht«, sagte er, den Deckel aufklappend, und holte einen in Seide eingeschlagenen Gegenstand heraus. »Ich erwarte nicht, dass du mit Raritäten dieser Art vertraut bist. Manche sind sehr, sehr alt. Ich sammele sie schon seit Jahren.«
Er legte ihn vor sich auf den Boden. »Du darfst ihn dir ansehen, wenn ich den Raum verlassen habe.«
Kaede betrachtete das Bündel misstrauisch. Fujiwaras Tonfall verriet, dass er irgendeinen grausamen Scherz mit ihr trieb und es genoss. Sie hatte keine Ahnung, was es sein könnte; eine kleine Statue vielleicht oder ein Flakon mit Parfüm.
Sie hob die Augen, prüfte seine Miene und sah das unmerkliche Lächeln, das seine Lippen umspielte. Ihre Schönheit und ihr Mut waren das Einzige, was sie als Waffen oder zur Verteidigung gegen ihn hatte. Kaede blickte an ihm vorbei, gleichmütig und reglos.
Er stand auf und wünschte ihr eine gute Nacht. Sie verneigte sich bis zum Boden, als er ging. Der Sturm rüttelte am Dach, Regen peitschte dagegen. Sie konnte keine Schritte hören, als er sich entfernte; es war, als hätte der Sturm ihn verschluckt.
Sie war allein, doch sie wusste, dass Rieko und die Dienstmädchen im Nebenzimmer warteten. Ihr Blick fiel auf das tiefpurpurfarbene Bündel, und nach einer Weile hob sie es hoch und enthüllte den Gegenstand, der sich in dem Tuch befand.
Es war ein erigiertes männliches Glied, geschnitzt aus rötlichem samtweichem Holz, Kirsche vielleicht, perfekt in jedem Detail. Sie fand es abstoßend und faszinierend zugleich, was Fujiwara zweifellos gewusst hatte. Er würde ihren Körper
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