Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
Maschine über der Farm kreiste und dann auf Barkaroola zur Landung ansetzte, war er verwirrt. Sofort dachte er an Marcus.
»Stimmt was nicht, Boss?«, fragte Billy-Ray, der zu ihm geritten kam. Sie hatten eine kleine, für den Verkauf bestimmte Herde zusammengetrieben und wollten sie auf die Koppel neben dem Haus bringen.
»Das müssen wohl Marcus und Elena sein, die aus Cloncurry zurück sind«, sagte Aldo. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die beiden schon einen Tag nach dem Unfall zur Farm zurückkommen würden.
Aldo und Billy-Ray sahen eine Frau aus dem Flugzeug steigen und auf das Farmgebäude zugehen. Sie blieb kurz vor dem Stall stehen, ehe sie weiter zum Haus ging. Sogar aus dieser Entfernung erkannten sie, dass es nicht Elena war. Also, wer war es dann?
»Das ist nicht die Chefin, oder, Boss?«, fragte Billy-Ray und schaute blinzelnd ins Sonnenlicht.
Aldo musste ihm Recht geben. »Nein, das ist sie nicht«, antwortete er. »Ich gehe mal lieber nachsehen, wer das ist. Schaffst du es, die Herde allein auf die Koppel zu treiben?«
»Klar, Boss. Wir sind ja fast schon da.«
Millie näherte sich der Veranda einer Unterkunft, die sie ausgesprochen schäbig fand. Nachdem das Motorengeräusch des Flugzeugs an dem endlosen Himmel abgeebbt war, fiel ihr als Erstes die Stille auf. Es war keine friedliche Stille, wie man hätte erwarten können, sondern eine alles verschlingende, einsam machende Stille. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie jemand Tag für Tag, jahraus, jahrein damit zurechtkam, doch Mitleid mit Elena empfand sie nicht.
Als Millie die Veranda betrat, knarrten die Dielenbretter unter ihren Schritten, als ob sie gegen den unerwarteten Besucher protestieren wollten. Ein einsamer Stuhl war der einzige Schmuck. Es war ein Korbstuhl, auf dem ein zerschlissenes, verstaubtes Kissen lag. Der Stuhl, das Haus, die umgebende Landschaft, alles wirkte verblichen und verwittert, Symbole der harschen Umgebung, die auf Gedeih und Verderb der unbarmherzigen Sonne ausgeliefert war. Vor ihrem geistigen Auge sah Millie Elena auf dem Stuhl auf der Veranda sitzen, an Lyle denkend und an ein anderes Leben im schönen grünen Schottland, ein Leben, das sie sich vielleicht immer gewünscht hatte.
»Mein Leben«, murmelte Millie verbittert, und ihre Wut nahm noch zu.
»Hallo … ist jemand zu Hause?«, rief Millie und klopfte an die Tür. Ihre Stimme schien nachzuhallen, ehe sie von der Stille verschluckt wurde. Es kam keine Antwort, also fasste sie an den Türknauf. Er ließ sich drehen, und die Tür öffnete sich mit demselben unheimlichen Knarren, das schon die Dielenbretter der Veranda von sich gegeben hatten. Millie lugte in das ebenfalls schäbige Innere des Hauses und verspürte keine Neigung, es zu betreten. »Hallo«, rief sie noch einmal. »Mr. Corradeo?« Stille.
Zögerlich machte Millie einen Schritt in das Haus hinein. Zu sagen, es fehle ihm eine behagliche Note, wäre eine Untertreibung gewesen. Die grundlegend nötigen Dinge waren vorhanden, doch darüber hinaus gab es nichts, was etwas über die Leute, die hier lebten, verraten hätte. Es war sauber und ordentlich, aber weder gab es die typisch weiblichen netten Kleinigkeiten noch fröhliche Farben. Schuhe fielen ihr allerdings ins Auge – zwei Paar Erwachsenenschuhe und drei Paar Kinderschuhe, von denen ein Paar einem kleinen Mädchen zu gehören schien. So konnte sie schließen, dass Elena drei Kinder hatte.
Draußen schnaubte ein Pferd, und Millie fuhr vor Schreck zusammen. Schnell lief sie wieder auf die Veranda hinaus und erschrak. Ein Mann saß auf einem mächtigen Fuchs mit weißer Blesse und starrte sie an.
»Wer sind Sie? Und was machen Sie in meinem Haus?«, brüllte Aldo, als er die ihm unbekannte Frau in der Tür seines Hauses stehen sah, und stieg von seinem Pferd ab.
Vor Millie stand ein hochgewachsener, schmaler Mann von europäischer Herkunft mit wettergegerbtem Gesicht und unfreundlichen Augen. Er roch nach Vieh und nach Schweiß.
»Ich habe … ich habe nach Ihnen gesucht, falls Sie Mr. Corradeo sind«, sagte Millie entschuldigend. Es war ihr peinlich, dass er sie in seinem Haus ertappt hatte. »Ich habe gerufen, aber als keine Antwort kam, habe ich an den Türknauf gefasst. Die Tür war offen.«
Aldo kniff die Augen zusammen. »Also dachten Sie, das gibt Ihnen das Recht, reinzugehen und rumzuschnüffeln.«
»Nein, natürlich nicht. Ich dachte bloß, man hätte mich nicht
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