Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
Kontrolle zu bringen.
Es dauerte ein paar Minuten, bis Millie sich gefangen hatte, dann ging sie zielstrebig zu dem Warteraum zurück. Noch einmal schaute sie durch das Glasfenster. Marcus, Elena und Lyle saßen zusammen über ein Buch gebeugt. Sie wirkten wie eine richtige Familie. Sie sah, dass der Junge tatsächlich im selben Alter sein konnte, in dem Jamie jetzt gewesen wäre, und plötzlich ergab alles einen Sinn. Millies Herz zerbrach in tausend Stücke, und genau das löste eine unbändige Wut in ihr aus.
Sie hatte nicht gewusst, ob Lyle mit seiner italienischen Freundin am Victoria Hospital intim geworden war. Den Gedanken daran hatte sie stets verdrängt, weil es leichter war zu glauben, dass er nichts mit dieser Elena gehabt hatte. Doch jetzt wusste sie mit Sicherheit, dass es doch zu Intimitäten gekommen war. Lyle war offensichtlich der Vater dieses Jungen und war zu ihm und Elena nach Australien gekommen, nachdem sein und Millies Sohn gestorben war. Das war von Anfang an sein Plan gewesen, das war auch der Grund dafür, dass er sie nach Jamies Tod zurückgewiesen hatte. Immer schon hatte sie gewusst, dass er sie nur geheiratet hatte, weil sie mit Jamie schwanger gewesen war. Anscheinend hatte er nichts von Elenas Schwangerschaft gewusst, als er sie wegen Jamie geheiratet hatte. Und da er nun mit seiner geliebten Elena wieder vereint war, hatte sie keine Chance mehr, ihn zurückzugewinnen.
Millie fiel auf einmal ein, dass die Elena aus dem Victoria Hospital, mit der Lyle sich getroffen hatte, Elena Fabrizia hieß. Augenscheinlich hatte sie irgendeinen armen Idioten geheiratet, der keine Ahnung hatte, dass sie es hinter seinem Rücken mit dem Mann trieb, der der Vater ihres Kindes war. Offenbar hatte sie vor, diesen anderen Mann zu verlassen, und Millie wusste ganz genau, wie der sich jetzt fühlte. Hatte Mr. Corradeo darüber hinaus womöglich keine Ahnung davon, dass Marcus gar nicht sein Sohn war? Denn nach allem, was sie wusste, würden nicht viele Italiener eine junge Frau heiraten, die keine Jungfrau mehr war. Und sie war sicher, dass sie auch keine Frauen heirateten, die von einem anderen schwanger waren – wenn sie es denn wussten!
Plötzlich hatte Millie eine Idee. Sie würde sich an Lyle und seiner geliebten Elena rächen.
28
Millie war sich gar nicht bewusst, dass sie den Korridor vor dem Wartezimmer entlang und die Treppen herunter zum Eingang des Krankenhauses zurückgegangen war. Ihre Rachegelüste hatten sie so verwirrt, dass sie wie in Trance handelte. Erst als sie mit einer Schwester zusammenstieß, die einen Patienten zur Tür hereinbrachte, fand sie augenblicklich wieder in die Wirklichkeit zurück.
»Wissen Sie, ob Miss Sweeney noch im Krankenhaus ist?«, fragte sie.
»Sie ist gerade gegangen«, antwortete die Krankenschwester und musterte Millie mit Besorgnis.
»Oh«, sagte Millie tief enttäuscht. Ihre Verzweiflung stand ihr im Gesicht geschrieben, und so nahm die Krankenschwester an, sie habe gerade eine schlechte Nachricht erhalten.
»Wenn Sie sich beeilen, holen Sie sie vielleicht noch ein«, meinte die junge Schwester.
Ohne ein weiteres Wort rannte Millie hinaus und rief hinter Alison her, die gerade wegfahren wollte. Alison sah sie und stieg aus dem Wagen. »Haben Sie Lyle angetroffen, Miss McFadden?«
»Nein … er war gerade in einem offenbar wichtigen Gespräch mit einem anderen Arzt, aber das macht nichts. Ich werde ihn dann ein andermal aufsuchen.«
»Wenn Sie mir sagen, wo Sie abgestiegen sind, sage ich Lyle, dass er Sie heute Abend aufsuchen soll«, schlug Alison vor. »Ich bin sicher, er wird sich sehr freuen, eine alte Freundin der Familie wiederzusehen.«
»Das ist jetzt im Moment nicht so wichtig. Ich habe da tatsächlich noch ein größeres Problem, und vielleicht können Sie mir dabei ja helfen, Miss Sweeney.«
»Und was für ein Problem ist das?«
»Mein Vater ist vor Kurzem gestorben, und es war sein letzter Wunsch, dass ich den Sohn des Mannes aufsuche, der ihm im Krieg an der Westfront das Leben gerettet hat. Ich soll ihm etwas sehr Persönliches überbringen.« Millie wunderte sich selbst darüber, wie ihr diese Geschichte ganz spontan beim Reden über die Lippen kam.
»Aha, suchen Sie eine Mitfahrgelegenheit?« Alison nahm an, dass die fragliche Person in Cloncurry lebte. »Ein paar Minuten hätte ich noch Zeit, ehe ich nach Winton muss.«
»Also, tatsächlich lebt der Mann, den ich aufsuchen muss, in Winton, und mir graut vor einer
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