Der Glanzrappe
das Tier ihm überlegen war, und er nahm es hin, ja er wußte es zu schätzen.
»Du bist zäh wie ein alter Ochse«, sagte er und fing sich einen schrägen Blick ein.
Als er die schweißbefleckte Satteldecke ausgeschüttelt hatte, legte er sich vor dem Rappen unter einen Baldachin aus Farnwedeln, deren Spitzen sich gerade entrollten, das Pferd hielt er locker an sein Handgelenk angeleint.
Er sah es an und bat es um Geduld, schließlich war er noch ein Junge und brauchte Schlaf, ehe sie weiterkonnten. Er wollte nicht von seinem Rücken fallen und sich im Dreck den Hals brechen.
»Ich bin müde«, sagte er, als wäre Müdigkeit ein Zustand, nach dem man sich sehnen konnte. Das Pferd versetzte ihm einen Nasenstüber gegen die Brust und prustete ihm sanft ins Gesicht.
»Ich bin dreckig wie ein Schwein«, sagte er. Das Pferd hob einen Fuß und setzte ihn schwer wieder ab. Schnaubend beugte es sich hinab zu einem Grasbüschel, packte es mit den Lippen und zog es aus dem Boden. Beim Kauen riß es den Kopf in die Höhe und richtete den Blick nach hinten.
Friß ruhig, dachte er. Ich brauche nur ein bißchen Schlaf, dann geht ’ s weiter.
Sein Schlaf war unruhig. Er hatte an diesem Tag Bilder gesehen, die ihm nicht aus dem Kopf gingen. Nicht wegen der Lebenden oder der Toten, nicht wegen der Verwundeten, Zerfetzten oder Entstellten. Doch dann ließen seine Gedanken davon ab, und ihm fielen die Augen zu, er atmete ruhig und lauschte auf das Pferd, das wieder an einem Grasbüschel rupfte und auf dem herumkaute, was es gefunden hatte, Augen, Ohren und Nase stets wachsam.
ALS ROBEY AUFWACHTE, fühlte er sich erfrischt. Er setzte sich auf und wischte sich die Maikäfer aus dem Gesicht und den Haaren. Als er wieder auf den Beinen stand, fiel helles Licht auf ihn, und er sah, daß hinter der kleinen Lichtung und dem Waldrand, an dem er geschlafen hatte, der Bogen eines flachen Flusses lag, über dem Schwalben durch die Luft tanzten. Das Sonnenlicht war kräftig und klar, und er nahm das Flimmern und Glitzern über dem Fluß wahr, obwohl er das Wasser nicht sehen konnte. Er führte den Glanzrappen in diese Richtung, bis zu einer Stelle, wo frisches Grün wuchs. Dort ließ er ihn grasen.
Er selbst stapfte durch hohen Farn und blühendes Dickicht zum Flußufer, hielt sich dabei eine Hand vor die Augen, weil das gleißende Sonnenlicht sich an der kräuselnden Wasserfläche spiegelte und ihn blendete. Er ging noch ein Stück weiter, setzte sich dann hin und rutschte auf dem Hosenboden die Uferböschung hinab bis zur Kante eines Felsvorsprungs, der ihm den Blick auf die Flußschleife freigab und von dem er die Beine hinabbaumeln ließ. Sein Vater hatte ihm gesagt, daß Flüsse schwer zu verteidigen seien. Sie schlängeln sich dahin, und alle Schleifen müssen besetzt werden, und dafür braucht man viele Soldaten.
Der Felsvorsprung war mit Kiefernnadeln gepolstert, und die Wasserfläche schimmerte karamelfarben in der Sonne. Er hätte die Füße gern ins Wasser getaucht, doch der Vorsprung lag zu hoch. Sein Vater hatte gesagt, daß Flüsse die Sichtverbindung unterbrächen und Truppenbewegungen behinderten. Flüsse bieten neue Möglichkeiten und machen andere zunichte.
Er blieb eine ganze Weile im kühlen Schatten auf dem Polster aus Kiefernnadeln sitzen. Er wußte, daß er weiter m ußte und bald wieder auf den Rappen steigen und nach Osten der Sonne entgegenreiten würde. Hinter sich hörte er das Pferd am Gras schnuppern und zupfen. Das erinnerte ihn daran, daß er seit Tagen nichts gegessen hatte und, auch wenn er dringend weiterreiten mußte, ebenso dringend Nahrung brauchte. In letzter Zeit drängelten sich auf den Nebenstraßen viele Flüchtende, fluchende Maultiertreiber und Männer, die ausgezehrte Zugpferde vorantrieben, vor schaukelnden Wagen, die hoch beladen waren mit großen Koffern, Haushaltsgegenständen und Möbeln. Da liefen Frauen mit Fellen an den Füßen und trieben Kühe und Schweine, und barfüßige, rutenschwingende Jungen und Mädchen rannten hinter Herden von herrischen Gänsen und watschelnden Enten her, die schnatterten wie übermütige Kinder. Er sah einen schäbig gekleideten Mann mit einem Zicklein über der Schulter und einen kleinen Jungen, der ein Kaninchen an den Ohren trug. Da wurden Karren mit Leinensäcken, Butterfässern und Werkzeugen geschoben und gezogen. Die meisten Menschen waren in Lumpen gekleidet. Sie wirkten dünn und v erhärmt, ganz im Gegensatz zu ihren lebenden
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