Der Glanzrappe
braun färbte und anzusteigen begann. Zuerst ganz langsam, so langsam, daß es ihm gar nicht aufgefallen war, bis es plötzlich schneller stieg. Die Strömung nahm zu, und er sah federweiße Schaumkringel herantreiben und um den Rand der Strudel wirbeln, die sie dann gurgelnd in die Tiefe zogen. Belaubte Zweige und Äste trieben vorbei, und schließlich ein verdorrter Stamm.
Weiter oben mußte es heftig geregnet haben, denn der Fluß schwoll immer weiter an, verwandelte sich in eine schwarze, schlammige Flut. Die kleine Frau stand auf, nahm ihren Eimer in die Hand und wich vor dem Wasser zurück, das ihr bei jedem Schritt an den Füßen leckte. Die Gänseschar watschelte nervös schnatternd um sie herum. Sie setzte sorgsam Fuß vor Fuß, und er wollte ihr schon zurufen, sie solle sich beeilen, doch da war sie bereits höher aufs Ufer gestiegen, wo Sand und Kies in rote, mit Grasbüscheln gesprenkelte Erde übergingen. Sie hüpfte hinauf, und als die Gänse es ihr gleichtaten, sah sie auf den Fluß hinab, der in gemächlichem Auf und Ab die Hochwassermarken am Ufer umplätscherte.
Es kam ihm vor, als würde das Wasser unaufhörlich steigen, so schnell und mächtig kam die Flut herangeströmt. Er vergaß seine Sorge um die kleine Frau und begann sich selbst im Krebsgang zurückzuziehen. Als das nicht schnell genug ging, stand er auf. In diesem Augenblick brach ein großes Stück vom unterspülten Ufer ab. Es gab unter seinen Füßen nach, und er sank auf einer Platte roter Erde dem bräunlichen Strom entgegen.
Sein Abstieg war unaufhaltsam, und sosehr er sich auch bemühte, sich an dem abbrechenden Ufer hinaufzuziehen, es war sinnlos. Er verschwand unter der schmutzigen Wasseroberfläche, doch als er sich vom Grund abstoßen wollte, um Luft zu holen, merkte er, daß das Wasser schon wieder zurückging und er Boden unter den Füßen hatte. Sein durchnäßter Körper kühlte sich rasch ab, und doch fühlte er sich in dem trägen, schäumenden Wasser heiß an wie ein Hornissenstich. Seine Kleider waren mit rotem Lehmschlick bedeckt, der ihm von den Fingerspitzen rann wie Milch oder Blut.
»He, Junge«, ertönte eine Stimme. Es war die kleine Frau mit der Bambusangel, sie kam vom trockenen Ufer herunter ans Wasser. Unter der Haube waren nur ihre Nase und der Pfeifenkopf zu sehen. »Wärst fast ersoffen, was?« erkundigte sie sich.
Er blies sich die brennenden Nasenlöcher frei und spuckte schmutziges Wasser aus. Dann schleppte er sich zu einer flachen Stelle, kämpfte sich durch das überflutete Gestrüpp und stapfte durch das schlammige Wasser weiter, bis er auf festen Untergrund kam. Er betastete noch einmal sein Gesicht und seine Augen und schüttelte die Ärmel aus, ließ Wasser durch die Luft wirbeln.
Die kleine Frau amüsierte sich über sein Unglück. Sie war eine eigenartige, häßliche Person mit schmalen Schultern und einer langen, gekrümmten Nase, die in einem fort tropfte. Sobald sie sie abwischte, bildete sich ein neuer Tropfen. An ihr hing der Gestank von altem Schweiß , der den Moder am Flußufer noch übertraf. Das Bild, wie sich die Gänse am Wasser dicht an sie drängten und ebenfalls zu ihm hinunterstarrten, fand er ziemlich komisch.
»Toll siehst du aus«, kicherte sie. »Sei bloß vorsichtig. Hier draußen ist einem schnell was passiert.«
»Ist das der Rappahannock?« fragte er, als er das Ufer hinaufkletterte. Sie hatte kein sehr freundliches Gesicht. Als er sie ansah, wurde ihm schwindlig, weil ihre Haut im Sonnenlicht zu zerfließen schien. Er erkannte, daß ihr Gesicht von Läusen bedeckt war, und bekam eine Gänsehaut. Die Tierchen wuselten über ihre Wangen, ihre Stirn und ihre Lippen, doch sie schien es gar nicht zu merken.
»Der Bach da?« fragte sie. »Stell dich nicht dumm. «
U nd dann: »Was willst du denn am Rappahannock?«
»Sie sind gar keine Frau«, stieß er überrascht aus, konnte die Worte nicht zurückhalten. »Sie sind ein Mann.«
»Jeder Bettler hat seinen Stock, mit dem er die Hunde abwehrt«, meinte die kleine Frau.
Sie nahm ihre Haube ab und zog mit einem Ruck das geflochtene Haar vom Kopf, und tatsächlich, sie war ein Mann. Dann knöpfte der kleine Mann sein Kleid auf und streifte es von den Schultern. Ohne das Kleid wirkte er kauzig, ein mickriger Kerl mit dem Körperbau und der Muskulatur eines Knaben, aber die Haut in seinem Gesicht wirkte im Sonnenlicht wie fließendes Wasser. An seinem Hals und um die Haarbüschel am Nacken wimmelte es ebenfalls, und auch
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