Der Glanzrappe
die nackten Arme und die Handrücken waren von Läusen befallen, doch so unglaublich das war, es schien ihm nichts auszumachen.
Er lachte. »Man sieht eben nie, was wirklich in einem Menschen steckt.«
Sein Gesichtsausdruck war unter der beweglichen Maske nicht zu erkennen. Der kleine Mann bohrte mit dem Finger im Ohr, als würde es jucken, dann zog er den Finger wieder hervor und betrachtete ihn.
Seine Stimme nahm einen strengen Ton an, und ohne den Blick vom Finger zu lösen, sagte er: »Du willst dich bei der Armee melden, oder?« Robey schüttelte den Kopf. Sein Magen rebellierte. Er k onnte den Mann mit dem zerfließenden Gesicht nicht länger ansehen, aber er konnte den Blick auch nicht abwenden, so fasziniert war er davon. Er hatte keine Angst, aber er fühlte sich wohler, wenn er wußte, wo das Gesicht des kleinen Mannes war, genau wie bei einer Schlange, der man im Wald begegnet. Da ist einem auch wohler, wenn man weiß, wohin sie verschwunden ist.
»Nein«, sagte er.
»Ich war eine Zeitlang in der Armee«, meinte der kleine Mann wehmütig. »Hab die Tage mit Märschen durch schlammige Getreidefelder zugebracht. Jeder großmäulige Scheißkerl mit einem Pferd durfte mich umreiten und auf mir herumtrampeln. Mehr kann ich dazu nicht sagen. «
N ach einer kurzen Pause fügte er an: »Ich könnt ’ s nicht erwarten, wieder nach Hause zu kommen.«
Er fand den kleinen Mann sehr seltsam und bekam Mitleid mit ihm, denn jemand, der so klein war, mußte sich ziemlich verloren vorkommen in einer Welt, in der alle anderen so groß waren.
»Was ist mit Essen?« fragte der kleine Mann.
»Hab ich mir in letzter Zeit abgewöhnt«, sagte Robey .
»Du hast also Hunger, oder?«
»Ich bin ein Bauch auf Beinen«, antwortete er.
»Zu Fuß unterwegs?«
Er schüttelte den Kopf und bat ihn zu warten, bis er sein Pferd und seine Sachen vom anderen Ufer geholt hatte. Der kleine Mann war einverstanden, und Robey watete durchs Wasser. Der Rappe stand noch immer an der Stelle, an der er ihn zurückgelassen hatte. Er verhielt sich widerspenstig heute morgen und dachte nicht daran, den Fluß zu durchqueren. Robey legte ihm geduldig den Sattel auf und hängte seinen Brotbeutel an den Sattelknopf. Er steckte eine Pistole in den Gürtel und brachte das Pferd mit gutem Zureden dazu, mit ihm ans Ufer zu kommen, doch am Wasser scheute es wieder und trat aus, wollte offensichtlich nicht naß werden. Er strich ihm sanft über die Augen und das weiche Maul.
»Kommst du klar?« rief der kleine Mann zu ihm herüber, die Hände zum Trichter geformt.
Robey erklärte dem Hengst, daß sie sich beide erst stärken und dann weiterziehen würden, aber er brachte ihn nur mit äußerster Geduld dazu, den Fluß zu durchqueren.
»Junge, dein Rappe gefällt mir«, meinte der kleine Mann, als sie aus dem Wasser kamen.
»Ist ein gutes Pferd«, stimmte Robey zu.
»Ich hatte auch mal ein gutes Reitpferd«, sagte der kleine Mann. Und dann verschwand er im Gebüsch und bahnte sich einen Pfad durch das Gehölz, die Gänse im Gefolge.
Robey ging hinter dem Mann her bis zu einem Haus, wo durch die zerbrochenen Fensterscheiben noch mehr Gänse ihre langen Hälse herausstreckten. Andere watschelten über die breite Veranda, vorwitzig und neugierig a uf alles, was ihnen wichtig erschien, auch wenn es für das menschliche Auge nicht zu erkennen war. Der kleine Mann befahl ihm, sich nicht von der Stelle zu rühren, während er ihnen etwas zu essen holte, und kein Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen, weil das Brunnenhaus nach einem Brand völlig verrußt war und noch immer vor feuchtem Rauch stank und das Wasser deshalb widerlich schmeckte.
Dann verschwand er im Haus und kam kurz darauf mit einer riesigen Platte mit aufgewärmtem Sauerkraut, gerösteten Zwiebeln, gepökeltem Schweinefleisch und kaltem Rindfleisch zurück. In der anderen Hand hielt er eine Kaffeekanne. Er setzte die Platte zwischen ihnen auf dem Boden ab und hockte sich davor. Nachdem er sich eine Handvoll Sauerkraut und eine Scheibe Fleisch genommen hatte, drängte er Robey , sich ebenfalls zu bedienen. Der war so hungrig, daß er sofort zugriff.
Sie aßen schweigend, schlangen alles gierig hinunter und schmatzten dabei wie Hunde. Robey tat es, weil er so hungrig war, der kleine Mann aber schien es gar nicht anders zu kennen.
Zwischendurch erzählte er Robey die lange Geschichte, wie er aus dem Krieg nach Hause gekommen war, den ganzen Weg von den Höllenhunden gejagt, und hatte
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