Der Glanzrappe
geschliffene Diamanten.
Der Kronleuchter erschien ihm zuerst wie der Nachthimmel mit seinen funkelnden Sternen, dann wurde ihm klar, daß tatsächlich die Sterne durch die verbrannte Decke h ereinleuchteten und das geschliffene Glas zum Funkeln brachten. Der Kronleuchter schien erst nach dem Brand aufgehängt worden sein, so rein und unberührt waren die Glasprismen, die das Licht reflektierten.
Als sich der Wind legte, erstarb auch das Rauschen in den Bäumen. Erst jetzt fiel ihm auf, daß dieses Geräusch die ganze Zeit im Hintergrund gewesen war. In der neu entstandenen Stille war ein Tick t ack, Tick t ack zu hören. Er suchte den Raum ab, und dann erfolgte ein sauberer, mechanischer Ton, und er fand die Quelle des Geräuschs, als ein winziges Türchen aufging und ein Kuckuck herauskam.
Jemand hatte die Uhr aufgezogen und den Kronleuchter aufgehängt und mit diesen hilflosen Gesten versucht, eine Zeit zurückzuholen, die wohl niemals wiederkommen würde. Eine Zeit, das wurde ihm jetzt klar, die er in seiner Abgeschiedenheit zu Hause niemals erlebt hatte, die er erst jetzt inmitten von Chaos und Verwüstung kennenlernte. Wie war das Leben vorher gewesen? Was hatten die Menschen getan, und worüber hatten sie nachgedacht, ehe sie Krieg führten und nur noch an Krieg dachten? Er versuchte sich daran zu erinnern, was er getan hatte, bevor er vom Berg herunterkam, und was er dort gedacht hatte. Woran er sich erinnerte, waren Arbeit und Ruhe und Einsamkeit. Er wußte, das war nicht alles, aber mehr fiel ihm nicht ein, und dabei war es doch noch gar nicht so lange her. Er kramte in seinem Gedächtnis, wie er damals gewesen war, aber sosehr er sich auch bemühte, es kam nichts zurück.
Er legte das Anzündholz, das er gesammelt hatte, auf das kleine Feuer, und als rote und blaue Flammen aufzüngelten, erhellte sich das Zimmer und ließ weitere sehnsuchtsvolle Erinnerungen in ihm aufsteigen. Da stand ein Intarsienkästchen mit glänzenden Steinen, und daneben Dosen aus Zinn oder Kupfer und Lackkästchen aus Hölzern, die er noch nie gesehen hatte und deren Namen er nicht kannte. Sie enthielten Münzen und Knöpfe, Bänder, Murmeln, Stecknadeln, winzige Knochen und ein Puppenbein.
Er entdeckte eine angeschimmelte Sitzbank, aus der es nach Wolle und Lavendel roch, in der aber nichts lag außer einer Porzellanpuppe mit einem blauen Filzhut und langen Haaren aus strohfarbenem Garn. Ein Bein war abgerissen, aber als er mit dem Ärmel über das Gesicht der Puppe wischte, kam sie ihm vor wie neu. Das brennende Holz knackte und zischte in der Stille, und in der Luft sah er die schwarzen zuckenden Schatten der Fledermäuse, die den Raum mit ihrem geräuschlosen Flügelschlag füllten und durch die leeren Öffnungen der Fenster und Türen vor dem Licht nach draußen flohen.
Er stellte Kaffee auf und briet in einer Blechpfanne seinen letzten Speck. Dann knetete er aus Wasser und gesalzenem Maismehl einen dünnen Teig, um ihn über dem offenen Feuer auf dem Blatt einer zerbrochenen Hacke zu backen. Er stellte sich vor, wie er sich Kaffee eingießen und seinen Maiskeks hineintunken würde. Es würde schmecken und ihn wärmen bis zum Magen hinab. Sein Hunger nahm zu, und während er das Essen zubereitete, fiel sein Blick zufällig auf die Porzellanpuppe, die er an den Kamin gelehnt hatte. Dabei rieb er sich geistesabwesend am Kopf, an der Stelle, wo die Haut allmählich verheilte und sich manchmal anfühlte, als würden winzige Pfoten daran ziehen. Er hielt das Beinchen an die Hüfte der Puppe, es paßte.
Jetzt hätte er gern die Wut verspürt, die ihn erfüllte, als er sich blutend von der Erde hochstemmte. Die Wut, von welcher der alte Mann gesagt hatte, daß er sie zum Überleben brauchte. Er wollte sie in sich spüren wie einen eisernen Stachel, doch heute abend war da nichts. Heute war er zu müde, um wütend zu sein, und er hoffte, daß er am Morgen, wenn er ausgeruht war, wieder dazu fähig wäre.
»Was meinst du?« fragte er die Puppe mit dem Porzellangesicht, und da keine Antwort kam, flüsterte er: »Nichts.«
Als der Kaffee kochte, goß er ungeduldig eine halbe Tasse davon in die fettige Pfanne und verbrannte sich die Finger und den Mund, weil er vor Hunger nicht abwarten konnte. Er schob den Maiskuchen in die Brühe und aß das Ganze mit den Fingern, wischte auch die letzten Reste aus der Pfanne und leckte sie sich von den Fingern und vom Handrücken. Dann putzte er sich über den Mund und war fertig. Ihm war
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