Der Glanzrappe
nach dem Hund, doch das Mädchen sagte nichts mehr dazu und beruhigte sie.
Als der Mann zurückkam, schien es, als wäre nichts geschehen zwischen ihm und dem Mädchen. Er setzte sich auf den Boden, genau an die Stelle, wo Robey eingeschlafen war, und schien instinktiv zu spüren, daß vor kurzem ein anderer Mensch dort gesessen hatte. Doch er entspannte sich rasch. Dann zog er eine Handvoll harter Kekse aus der Tasche, brach Stück für Stück davon ab und schob sie sich schweigend in den Mund. Er zupfte die t rockenen Krümel von seiner schwarzen Jacke und leckte sie penibel von den Fingerspitzen.
»Wenn ’ s nach mir ginge«, erklärte er, »hätte ich gerne Gans und Austern, Rührei und Nußkuchen.«
»Ja, wenn«, meinte das Mädchen spöttisch. »Wenn die Frösche Flügel hätten, würden sie nicht bei jedem Sprung auf den Hintern knallen.« Der Mann schlug sich prustend auf die Schenkel. Dann s chnickte er ein Stück Keks über den Boden zum Feuer hin, und das Mädchen schnappte es sich und drückte es an die Brust.
»Was ist das?« fragte die Blinde, fast schon hysterisch, und tastete suchend den Boden ab.
»Gar nichts«, sagte das Mädchen und lutschte behutsam an ihrem Keks, um kein Geräusch zu machen.
»Erzähl mir nichts«, antwortete die Frau. »Ich bin doch nicht dumm. Ich weiß, daß hier Ratten sind.«
»Wir könnten das Hühnchen braten, das du versteckt hast«, sagte das Mädchen zu dem Mann.
»Welches Hühnchen?« fragte er.
»Das Hühnchen, das du versteckt hast.«
»Das ist mein Hühnchen«, entgegnete er gelassen.
»Aber ich hab ’ s gestohlen«, sagte das Mädchen.
»Ich hab Hunger«, stöhnte die Frau. »Macht doch bitte das Hühnchen.«
»Gib wenigstens deiner Frau was zu essen«, sagte das Mädchen.
»Bitte«, drängte die Blinde, und der Mann kratzte sich am Kopf, als müßte er gründlich über diesen Vorschlag nachdenken. Schließlich schien er einen Entschluß gefaßt zu haben, denn er knöpfte seine Jacke auf und zog das Huhn heraus, das er sich an einem Strick um den Hals gebunden hatte.
»Da hast du das verdammte Huhn«, brummte er und warf es dem Mädchen zu.
Robey sah, wie sie es rupfte und ausnahm und die Innereien auf die Steinplatten vor der Feuerstelle legte. Dann steckte sie das Huhn auf den Eisenspieß und hielt es über die Flammen. Als die Haut heiß wurde und Blasen warf, tropfte Fett ins Feuer, und es zischte und flackerte. Der Mann rückte näher heran, und sie sahen gemeinsam zu, wie das Hühnchen Farbe annahm.
Die Frau fragte, was gerade passierte, und er erklärte es ihr. Sie machte ihm klar, daß sie selber hören und riechen könne, nur sehen könne sie nicht. Er sah sie an, als wäre ihm das völlig neu, während das Mädchen hinter vorgehaltener Hand kicherte.
»Ich will nur wissen, ob es schon gar ist.«
»Es ist gleich fertig«, sagte er.
Als sie das Hühnchen verspeist hatten, entspannte sich die Stimmung im Raum. Ihr Bedürfnis, sich mit Wut und Gewalt zu begegnen, schien durch das Essen befriedigt. Die Blinde sagte etwas zu dem Mädchen, was Robey nicht verstand. Das Mädchen half ihr auf und führte sie durch den Schutt hinaus auf den Hof, wo sie ihre Röcke raffte und sich zum Wasserlassen hinkauerte. Dann hob das Mädchen ebenfalls ihre Röcke bis zur Hüfte und tat es ihr gleich.
Als sie zurück waren, bereitete der Mann seiner Frau am Rand der warmen Feuerstelle ein Schlaflager vor. Das Mädchen half der Frau, sich auf die Seite zu drehen, und deckte sie mit einer Wolldecke zu. Dann ließ sie sich s elbst nicht weit davon nieder und zog ihre Decke bis ans Kinn hoch. Im selben Augenblick entdeckte sie die Porzellanpuppe und drückte sie eilig an ihre Brust, hielt sie unter der Zudecke verborgen.
Als sich alle zur Ruhe gelegt hatten, bestand der Mann darauf, daß sie vor dem Einschlafen beteten. Er sprach sein Gebet in der aufrichtigen, erfahrenen Art eines Geistli c hen. Robey lauschte seinen frommen, dramatischen Worten. Ein seltsamer Diener des Herrn. Hoffentlich würden sie rasch einschlafen, wenn er mit dem Beten fertig war, denn Robey war müde, und die Beine taten ihm weh, weil er so lange reglos dagestanden hatte. Sobald sie schliefen, konnte er an dem Stützbalken hinunterklettern und im Dunkeln verschwinden.
Doch als der Mann sein Gebet beendet hatte, griff er erneut nach der grünen Flasche und trank weiter. Sein Bein bereitete ihm noch immer Probleme. Er schüttelte es unter der Zudecke, klopfte mit der Ferse auf den
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