Der Glanzrappe
dieser Entdeckung, die er am Ende des Weges gemacht hatte. Er hätte sich niemals vorstellen können, was er vorfand, konnte nicht ertragen, wie schrecklich er gescheitert war. Sein Verstand ergriff die Flucht, und sein Körper schmerzte in dem verzweifelten Versuch, ihn festzuhalten – wenn nicht im Schädel, dann wenigstens in den Händen, in den Armen oder in den Beinen. Das tiefe Gefühl der Bedrohung streifte Wirbel für Wirbel das Rückgrat entlang wie eine Messerspitze. Dann war es vorbei und die Panik verschwunden.
11 NACHDEM ER SEINEN VATER
a uf dem Feld der Sterbenden gefunden hatte, schob er ihm seine Jacke unter den verbundenen Kopf und besorgte sich eine andere, blaue Jacke mit zerrissener gelber Paspel, in der er sich hier ungehindert bewegen konnte. In den heißen Tagen und feuchten Nächten, die folgten, wurden die abziehenden Truppen abwechselnd von der Sonne versengt und vom niederprasselnden Regen aufgeweicht, der den Boden auswusch und die Spuren der Schlacht, die nicht allzu tief in ihn eingedrungen waren. Tagsüber brannte eine erbarmungslos stechende Sonne, die Dampfschwaden und Myriaden von Fliegen aufsteigen ließ.
An diesem ersten Morgen wachte er vor Tagesanbruch auf, band die Zügel des Glanzrappen an das Handgelenk seines Vaters, legte das Schreiben des Majors auf die Decke und beschwerte es mit einem kleinen Stein. Als der Vater langsam zu sich kam, schloß Robey ihm unter der Decke die Finger um den Pistolengriff. Erst dann machte er sich auf, um nach Nahrung und Wasser zu suchen, während das Pferd beim Vater blieb.
Bei seinem Streifzug über das Schlachtfeld stellte er sich vor, er wäre ein Geist, ein toter Junge, der mit den anderen Toten lebte und sich um sie kümmerte. Er war noch nicht tot, das nicht, aber so jung, daß er nicht die Aufmerksamkeit der Feldgendarmen erregte, die sich hier e infanden, um ihrem Auftrag zu folgen und an den verwüsteten Orten der Schlacht für etwas Ordnung zu sorgen. Er stöberte nach etwas Eßbarem, das er dem Vater und seinen sterbenden Kameraden bringen konnte. In den herumliegenden Tornistern fand er Butterstücke, Hammelfleisch, Kalbfleisch, Speck und Gläser mit Süßem. Er fand Weinflaschen und seltsamerweise auch alte Babym ü tzen, Babyschuhe, Frauengamaschen, Federkissen, Silberbesteck und Schmuck. Dann hörte er, daß in der Stadt eine Wagenladung mit Brot angekommen sei, aber das war bald alle, und in den nächsten Tagen kamen keine neuen Lieferungen mehr.
Er sah alle Arten von Verletzungen, gräßlich verstümmelte Gesichter und Männer ohne Arme oder Beine, die aber noch lebten und im Schlamm zappelten wie die Hinterlassenschaften einer riesigen Flutwelle. Männer, die in Pfützen ertranken, weil sie sich nicht mehr auf den Rücken drehen konnten. Männer, die in der Nacht auf der kalten und nassen Erde lagen, ins Dunkel starrten und ihre letzten Gebete flüsterten. Wer Glück hatte, lag auf Heu und Stroh, auf einer Decke oder einer Jacke, aber die meisten hatten nichts mehr, keine Schuhe oder Stiefel, keine Mütze, keine Jacke und keine Hose, waren aller ihrer Habseligkeiten beraubt.
Anfangs hatte er sich ein Damenhalstuch um Kopf und Gesicht gebunden und es nur abgenommen, wenn er zum Vater zurückkehrte, aber nach einer Weile gewöhnte er sich an den allgegenwärtigen Geruch des Todes, steckte das Tuch ein und war für immer immun, ließ sich vom Eisengeruch des vergossenen Blutes, von den Ausdünstungen der Verwundeten und vom eigentümlichen Hauch d es letzten Atemzugs und der entweichenden Seele nicht mehr irritieren.
Er sah mit Papierschnipseln übersäte Tote, die ihre Briefe und die Fotos ihrer Liebsten zerrissen hatten, damit sie nicht in die Hände gefühlloser Menschen fielen und in den Gazetten des Nordens veröffentlicht wurden. Die, die noch lebten, winkten ihn zu sich und drückten ihm ihre letzten Zeugnisse in die Hand, und er nahm die Briefe an sich, um sie vor den Fledderern zu bewahren, die jetzt immer zahlreicher auf das Schlachtfeld kamen.
Die Fledderer schwärmten aus wie hungrige Geier. Sie sammelten all die liebgewonnenen Dinge ein, die die Soldaten in ihre Taschen eingenäht hatten oder als Talisman um den Hals trugen – Haarlocken, Medaillons, Damenschals und andere Dinge. Wie Krähen im Garten hüpften sie von einem Toten zum nächsten, tasteten
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