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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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versuchten ihm die Augen auszukratzen, so daß ihm nichts übrigblieb, als dem Mann einen Tritt gegen den Kopf zu versetzen, um von ihm loszukommen, und er dachte, im Krieg bringen einen sogar die Toten noch um.
    Er ging weiter von Gesicht zu Gesicht, gefolgt von seinem pechschwarzen Hengst, der behutsam über die Leichen stieg und sich vom Eisengeruch des erkaltenden Bluts nicht betäuben ließ. Auf einem Feld, unter einer Anhöhe, entdeckte er eine Reihe von Toten in walnußbraunen Uniformen. Den Männern waren die Hände auf den Rü ck en gebunden worden, und dann hatte eine einzige Kugel ihr Gehirn durchbohrt.
    Er wußte nicht, was hier geschehen war, konnte sich nur vorstellen, daß sie versucht hatten wegzulaufen. Einem hatte man ein Taschentuch vor den Mund gebunden, vielleicht, damit man sein Schreien nicht ertragen mußte. Auch er war durch einen Kopfschuß gestorben. Vielleicht war er auch durchgedreht. Oder er hatte das einzig Vernünftige getan. Egal, jetzt war er tot.
    Robey s Blut begann zu kochen und pulsierte in seinen Adern, und er sagte sich, daß er vor diesem gräßlichen Anblick nicht zurückschrecken durfte, sondern die wichtige Erfahrung, die darin lag, annehmen mußte. Das war etwas, was er lernen mußte, worauf er sich verlassen mußte, ein weiteres Gesetz des Chaos. Es ließ ihn noch mehr Abstand zu allem gewinnen, was er aus den Bergen mitgebracht hatte. Er sah, daß selbst die Toten noch töten, und wenn das so ist, dann kann einen jeder töten, und diese Erkenntnis erleichterte ihn, denn er verstand immer mehr, was für eine simple Gleichung der Krieg war.
    In einem Wäldchen lagen in einer langen, traurigen Reihe, unruhig stöhnend und zuckend, die Sterbenden auf dem nackten Boden. Sie waren sich selbst überlassen. Männer mit schweren Kopfverletzungen befanden sich darunter, einigen waren beide Augen ausgeschossen. Alle hatten tödliche Wunden und waren an diesen Ort gebracht worden, um hier, ohne jede Hoffnung, möglichst rasch zu sterben.
    Nicht weit davon stand ein langer Tisch, an dem die Chirurgen vom ersten Tageslicht an bis zum Einbruch der Dämmerung und selbst in der Nacht mit raschen Bewegungen ihrer Knochensägen Arme und Beine amputierten. Pferdewagen brachten die blutigen Gliedmaßen fort und kamen leer zurück, feucht glänzend im Licht der Laternen, um erneut beladen zu werden.
    Es waren viele, und es wurden immer mehr. Noch nie in seinem Leben hatte er so viele Menschen auf einmal an einem Ort gesehen, und allen fehlten Gliedmaßen, sie waren tot oder im Sterben. In der Luft hing ein übler Geruch wie in einer eingeschlossenen Bucht, in die seit Tagen keine Flut mehr gelangt ist und die von keinem Lufthauch bewegt wird. Er wußte, daß das hier nicht der brüchige Rand der Welt war. Nein, das war die Welt selbst.
    Hier, in diesem Wäldchen, im fliehenden Licht der verschleiert hinabsinkenden Sonne fand er seinen Vater. Hier lag er, auf diesem Feld der Sterbenden, unter einem purpurnen Himmel. Er erkannte ihn und ergriff seine Hand, und der Vater starrte ihn an, als hätte sich eine Erwartung endlich erfüllt.
    Eine Kugel hatte seine Wange durchbohrt und ein schwarzes Loch hinterlassen. Sie hatte eine Bahn durch den Schädel gezogen und war am Hinterkopf wieder ausgetreten. Robey konnte erkennen, wie die Kugel auf ihrem Weg den Knochen zerfetzt hatte, bevor sie den Schädel wieder verließ. Der Vater wollte etwas sagen, doch Robey bedeutete ihm zu schweigen. Während sie einander umschlungen hielten, machte sich ringsum das Murmeln der Sterbenden breit; sie erteilten noch immer Befehle, führten den Kampf fort, flüsterten Gebete und riefen die Namen von Frauen und Kindern, röchelten, gurgelten und keuchten.
    »Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte«, sagte er und versuchte die panische Angst hinunterzuschlu ck en, die in seiner Stimme mitschwang.
    »Gut, daß du so lange gebraucht hast«, flüsterte der Vater.
    »Ich hab alles versucht«, sagte Robey , er hielt den Kopf des Vaters in seinem Schoß.
    »Ich weiß.«
    Ein leises Stöhnen gärte tief in seiner Brust, ließ sich nicht unterdrücken.
    »Pst«, flüsterte Robey . »Still jetzt.«
    Das Stöhnen wurde lauter und überwältigte Robey . Es griff nach seinem Körper, seinem Herz, seiner Lunge und s einem Rückgrat, und er tat alles, um nicht in tausend Stücke zu zerfallen wie ein Junge, der durch die Luft geschleudert wird, hoch in den Himmel und wieder hinab, tief in die Erde.
    Sein Gesicht brannte nach

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