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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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aus reinem Weichblei, die fast tausend Meter weit geflogen kamen, um zu töten, um die Knochen zu zersplittern, das Gewebe zu zerreißen und die riesigen, klaffenden Wun d en zu schlagen, die sich jetzt wie aufgerissene Münder der Sonne darboten.
    Er zählte vierunddreißig Tote, die die Frau zu begraben hatte, und als er ihr seine Hilfe anbot, erfuhr er, daß sie im sechsten Monat schwanger war, aber von einem Ehemann oder einem Vater des Kindes sprach sie nicht.
    »Wie ist das passiert?« fragte er und war sich nicht sicher, was er eigentlich meinte.
    Sie hielt inne, stützte sich auf die Schaufel und sah ihn mit schräg gelegtem Kopf verwundert an.
    »Du bist nicht von hier«, stellte sie fest.
    »Nein, Madam.«
    »Was hast du hier zu suchen?«
    »Meine Mutter hat mich geschickt, den Vater zu holen.«
    »Hast du ihn gefunden?«
    »Er ist da drüben. Ich wollte Wasser holen, hab es aber selber getrunken. Dann hab ich einen Verband gekauft und hatte kein Geld mehr, um Wasser für die Feldflasche zu besorgen.«
    »Wenn du willst, kannst du mir helfen«, sagte sie, »und ich geb dir Wasser. Ich kann dir das Wasser auch so geben, und du gehst zurück zu deinem Vater.«
    »Mir hat noch nie jemand für meine Hilfe Geld angeboten.«
    »Dann freut es mich um so mehr, daß ich dich mit Wasser bezahlen kann.«
    Er half der Frau eine Zeitlang, die Soldaten zu begraben. Die Todesursachen waren offensichtlich, denn die todbringenden Minie r geschosse waren auf dem Weg zu ihrem Ziel mit so verheerender Wirkung in die Körper eingedrungen, daß die Knochen zersplitterten wie morsche Zweige und das Blut aus den Adern ins Gewebe ge p reßt wurde. Die Miniekugeln rissen tödliche Wunden an Kopf und Hals, Brust und Bauch. Sie wurden beim Einschlag platt gedrückt und zertrümmerten alle Knochen, auf die sie trafen. Oft flogen abgesplitterte Knochen und Zähne mit so heftigem Drall davon, daß sie im Körper eines anderen Soldaten neue Wunden schlugen.
    Die meisten der Soldaten hier auf dem Friedhof hatten aus großer Entfernung einen tödlichen Kopfschuß abbekommen, obwohl sie im Schutz der Grabsteine kauerten, als hätten diese bedeutungsvollen Steine nur darauf gewartet, ihren Sinn im Leben zu erfüllen. Viele der Soldaten waren an der linken Hand getroffen worden, als sie den Ladestock in den Gewehrlauf schoben.
    Schweigend stach Robey den Spaten in die Erde, Hüfte an Hüfte mit der Frau, der immer wieder einzelne Haarsträhnen in das müde Gesicht fielen. Sie schob sie zurück hinter die Ohren, doch sie lösten sich wieder, so daß sie sich schließlich aufrichten und die Haarnadeln neu stecken mußte. Er dachte an seine Mutter und wurde zum kleinen Jungen, war wieder zu Hause, wo sie im Garten arbeiteten, mit Umgraben, Pflanzen und Harken beschäftigt, und wo er bald die Ankunft eines Brüderchens oder Schwesterchens mit der Welt teilen würde.
    Als das Loch tief genug war, legten sie einen Soldaten hinein, hoben direkt daneben ein weiteres Loch aus und schaufelten mit der Erde daraus das erste Grab zu. Er arbeitete mit ganzer Kraft, damit sie sich nicht so anstrengen mußte, doch sie stach den Spaten mit großer Ausdauer in die Erde und behielt ihr Tempo bei.
    Als sich die Dunkelheit über diesen ersten langen Tag zu legen begann, stieg er aus dem frisch ausgehobenen Grab und wollte dem nächsten Soldaten unter die Schulter greifen, als er sah, daß der kaum älter war als er selbst. Seine Zähne waren zertrümmert, und das Hüftgelenk mußte zerschmettert sein, denn ein Bein stand in einem merkwürdigen Winkel vom Körper ab. Er verspürte gleichzeitig Schrecken und Ehrfurcht, weil der kleine Soldat noch so jung war. Die Frau begann zu schluchzen und preßte den Handrücken an die Lippen, und er wußte, sie trauerte nicht so sehr um den Jungen selbst, sondern darum, daß er nur ein Tropfen im Ozean war und dennoch die Last, die sie trug, um ein weiteres Gewicht erschwerte. Ihr Brustkorb senkte sich, die Schultern zuckten, und sie weinte still in ihre Hände. Er half ihr, sich hinzusetzen, und blieb neben ihr stehen, als der Schmerz durch ihren Körper fuhr wie ein beständiger, quälender Wind.
    »Tut mir leid«, sagte sie, tupfte sich das Gesicht tro ck en und verschmierte es dabei mit Friedhofserde.
    »Er war ein kleiner Trommler«, sagte er, bückte sich und nahm dem Jungen die zerbrochenen Stöcke aus den Händen.
    »Großer Gott«, sagte sie, »er war noch so jung.«
    »Ja, Madam. Noch ganz jung.«
    »Nimm dir seine

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