Der Glanzrappe
gab einen Laut von sich, der ungeduldig, fast strafend klang. Robey sprach ihn ungläubig an, und als der Rappe noch einmal den Kopf hochwarf, sah er neben ihm zwei Beine aus einem Kleid baumeln. Darunter auf dem Boden lagen ein Strohhut und ein Sonnenschirm. Es war der kleine Mann mit den Gänsen, der hier mit gebrochenem Hals hing, sich mitten im Ritt an einer niedrigen Astgabel erhängt hatte. Seine violette Zunge quoll aus dem Mund und hing ihm übers Kinn hinab. Die Augen traten ihm wie Hühnereier aus dem Kopf, und er stank nach Urin und Kot.
Robey s erster Gedanke war, sich bei dem Tier zu entschuldigen, und er hätte es auch getan, aber er befürchtete, daß der Hengst die Entschuldigung nicht annehmen würde. Er glitt vom Rücken des cremefarbenen Pferdes, sprach mit brennenden Tränen der Selbstbeherrschung in den Augen sanft auf den Rappen ein und führte ihn von dem Erhängten weg. Sie gingen langsam ein Stück weiter, doch dann hielt er an und zog sich hinauf in den Sattel. Er drängte das Pferd vorwärts, und nach einigem Zögern reagierte es, als wollte es anerkennen, daß sein Reiter seine Lektion gelernt und eine Belohnung verdient hatte.
Sie entfernten sich vom Fluß und ritten weiter in den Wald hinein. Dann stießen sie auf Schienen, überquerten diese und stiegen auf der anderen Seite eine Böschung hinunter. Es ging langsam, aber stetig auf felsigem Boden bergab. Manchmal wußte der Hengst nicht mehr, wohin er sich wenden sollte in dem wilden, trostlosen Land, fand dann aber doch einen Weg und folgte ihm entschlossen. In dem hügeligen Gelände trafen sie immer wieder auf frische Quellen, wo klares Wasser aus Kalkgestein quoll. Da standen mächtige Bäume, die Wälder waren voll dichtem Unterholz, abgeknickten Ästen und Felsbrocken, und mehr als einmal fand der Rappe einen Durchgang, bei dem es Robey aus dem Sattel gehoben hätte, wenn er nicht die Beine angezogen oder sich tief hinab auf den Hals des Tiers gebeugt hätte. Aber das war egal. Jetzt, wo sie nach Norden ritten, um die Armee zu finden, war alles egal.
10 TAGE SPÄTER ,
als Robey seinem Ziel schon nahe war, dem breiten flachen Fluß, an dem sich die Armee seines Vaters aufhalten sollte, kamen neue Gerüchte von einer Truppenverschiebung in Richtung Nordosten auf, und es war, als wäre die Bewegung von fünfundsiebzigtausend Männern, die auf den staubigen Landstraßen marschierten, im Boden zu spüren. Er war nur wenige Tagesreisen hinter ihnen, als er ihre Richtung einschlug und dem Beben folgte, das von ihnen ausgelöst wurde.
Viel später erinnerte er sich daran, daß er fünfzig Meilen weiter Kanonendonner durch die Blue Mountains hatte rollen hören – wie er später erfahren sollte, der Widerhall des Artilleriefeuers, der den letzten Angriff der schicksalhaften Schlacht anzeigte.
Am nächsten Nachmittag ritt er durch strömenden Regen, der alle Julifarben aus der Landschaft spülte, und traf nach Einbruch der Dunkelheit auf die durchnäßte Vorhut der Grauen, die sich nach Süden zurückzogen.
Am Morgen brach ein weiteres, noch schlimmeres Unwetter los. Die ihm entgegenkommende Woge von Männern und Pferden, von Viehtreibern und Herden schreiender Rinder wurde von der Sintflut gezwungen, wie Schweine durch den zähen Schlamm zu waten, der die Räder verstopfte und sie blockierte, so daß sie durchdrehten und über den Boden rutschten. Wie benommen ritt er dieser Flut von Marketendern und Ambulanzwagen, von Kutschen und Munitionswagen entgegen, dieser langen Parade von Angeschossenen und Schlammbeschmierten, von Blutverkrusteten und Ausgeweideten, dieser rollenden Armee von Toten und Sterbenden auf Rädern. Zwanzig Meilen lang war dieser Strom, eine nicht nachlassende Flut von Getriebenen und Gebrochenen. Ihr Anblick war ein düsteres Omen, und ihr gequältes Schweigen verwies auf das unermeßliche Töten und Sterben, das dort stattgefunden hatte, woher sie kamen. Sie waren auf dem Schlachtfeld gestorben und starben nun neben der Straße und auf der Straße, und wer hier zusammenbrach, wurde unter den eisenbereiften Rädern, den trampelnden Pferdehufen und den barfuß marschierenden Männern zu Brei zerquetscht.
Am Ende dieses Weges schien das Böse herabgestiegen und in den Menschen gefahren zu sein, hatte ihn dazu gebracht, einen Veitstanz aufzuführen, sich Kugel und Klinge zu nehmen, und
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