Der Glasmaler und die Hure
Markt nichts, wovon sie ihre Mägen hätten füllen können. Wahrscheinlich handelte es sich also wieder nur um ein Gerücht, daß die Moral der Belagerten stärken sollte.
Die drückende Sommerhitze machte Thea zu schaffen. Sie schlug nach einigen Stechmücken, die um ihren Kopf tanzten, und ging kraftlos an den dürren Weibern vorbei, die mit ihren fahlen Gesichtern und tiefliegenden Augen wie Gespenster ausschauten. Viele führten ihre Kinder mit sich, die ebenso mager und mit leerem Blick an den Rockzipfeln hingen oder in den Armen ihrer Mütter dösten. Rechter Hand vernahm Thea einen Trommelwirbel. Sie reckte den Hals und sah, daß auf einem Holzpodest acht Söldner durch den Strick gerichtet wurden. Jeder der Todgeweihten küßte das Holzkreuz, das ein Priester vor ihre Gesichter hielt. Dann fielen die Bodenklappen, und dieMänner zappelten wie Fische an ihren Stricken. Ihre Hände griffen ins Leere, als wollten sie das Leben festhalten. Kurz darauf erschlafften die Bewegungen.
Hinrichtungen gab es viele in diesen Tagen. Mord, Raub, Notzucht und die Mißhandlung der Bürger griffen unter den Landsknechten immer weiter um sich und wurden stets mit dem Tod abgestraft.
In der Nähe brach Tumult aus. Thea ließ sich in diese Richtung schieben und erkannte bald den Grund für die Aufregung. Ein Fuhrwerk machte dort Halt, und ein Bäcker stellte drei große Körbe mit Brot bereit. Thea drängelte sich weiter voran. Der Bäcker und sein schmächtiger Gehilfe sahen sich einem gewaltigen Ansturm fordernder Hände ausgesetzt. Noch bevor der erste Laib verkauft worden war, kletterten einige Frauen auf den Wagen und stürmten zu den Körben. Der Bäcker versuchte sie rüde hinunterzustoßen, doch von unten wurden seine Beine gegriffen, und man zerrte ihn auf die Erde. Der Gehilfe verhielt sich klüger, sprang hastig vom Wagen und suchte das Weite.
Die Situation geriet außer Kontrolle. Wie ein Rudel Ratten strömten die Weiber auf den Wagen, griffen nach dem Brot und verteidigten die Beute mit Tritten und Faustschlägen. Bald schon prügelten mehr als hundert Frauen und auch einige Männer rund um den Bäckerwagen auf sich ein und versuchten, ihren Nebenleuten die Brote zu entreißen.
Direkt vor Thea stürzte eine Frau zu Boden, die eines der Brote im Arm hielt. Thea machte einen Schritt auf sie zu und trat ihr mehrere Male auf die Hand, bis sie das Brot freigab. Rasch bückte sich Thea und nahm den Laib an sich. Die Frau kreischte und krallte sich mit der anderen Hand an Theas Bein fest. Schmerzhaft gruben sich ihre Fingernägel in Theas Wade. Thea schrie auf und stieß ihren Fuß in das Gesicht der Frau. Einen Augenblick lang standThea wie erstarrt da und schaute in die schmerzverzerrten Züge der Frau, aus deren Nase ein dünner Blutfaden rann. Ein Blick aus haßerfüllten Augen traf Thea. Sie machte sich schnell davon, verbarg das Brot unter ihrer Schürze und kämpfte sich durch die keifende und um sich schlagende Menge.
In einer dunklen Gasse hockte sie sich auf den Boden, brach eine Kante vom Brot ab und schlang es hinunter. Es schmeckte fürchterlich. Statt Mehl hatte der Bäcker wahrscheinlich Eicheln und Hafer in das Brot gemischt. Angewidert kaute sie eine Weile auf dem trockenen und geschmacklosen Brei herum, den sie kaum schlucken konnte. Das Brot würde sie für den Moment sättigen, doch der Hunger würde schon sehr bald zurückkehren.
Thea schlug die Hände vor das Gesicht und weinte leise. Sie schämte sich dafür, daß sie die Frau auf dem Marktplatz getreten hatte, nur um ihr dieses lausige Brot zu stehlen. Noch immer stand ihr das Bild der außer Kontrolle geratenen Menschen vor Augen, die sich die Köpfe einschlugen, weil der Hunger sie verrückt machte.
Thea betastete ihre Wangen und fühlte unter ihren Fingerkuppen die Knochen unangenehm deutlich hervortreten. Sie betrachtete ihre dünnen Arme, und als sie die Hände auf ihre Brüste legte, war dort kaum noch eine Wölbung zu spüren.
Sie hatte stark an Gewicht verloren. Doch es gab viele Menschen hier in Nürnberg, denen der Hunger noch weitaus stärker zugesetzt hatte. Noch hatte ihr der Mangel an Essen nicht das hübsche Gesicht zerstört, aber bald schon würde sie sich in eine häßliche Vettel verwandeln. Ein paar weitere Tage ohne Nahrung, und ihr Gesicht glich einer knochigen Fratze, die jeden Mann abstoßen würde.
»Verdammt, Martin!« Thea erhob sich stöhnend und trat aus der Gasse.
Auf ihrem Fußmarsch aus der Stadt zurück
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