Der Glasmaler und die Hure
Schlachtvieh.«
»Dann solltest du es abwischen, damit du mir näher kommen kannst.« Martin zog den Eimer aus dem Brunnen und legte sein Hemd ab. Thea nahm ein Tuch, tauchte es in das Wasser und begann das Blut und den Schmutz von seiner Haut zu waschen. Zärtlich bedachte sie die gesäuberten Stellen mit Küssen. Ihre Lippen berührten Martins Nabel, die handtellergroße Narbe oberhalb seiner Hüfte, seine Brustwarzen und schließlich seinen Mund. Begierig ging er auf das Liebesspiel ein. Sie küßten sich sanft und gleichzeitig verlangend.
Martin zog eine traurige Miene. »So viele Tote«, sagte er leise und schaute zum Kontor. »Jeden Tag schaffen sie mehr dieser blutenden und zerfetzten Leiber heran. Die meisten von ihnen verrecken schon nach wenigen Stunden in diesem stinkenden Loch. Und nun gehen auch noch die Ruhr und die schwarzen Blattern in der Stadt um. Ich habe Angst um uns.«
Sie streichelte seine Wange. Der Backenknochen stach deutlich hervor. Wie schmal sein Gesicht geworden war. Zwar ging es Martin besser als den meisten Bürgern Nürnbergs, doch es war wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis er unter den Strapazen seiner Arbeit zusammenbrechen würde.
»Es muß nicht sein, daß wir hungern, Martin«, sagte sie.
Martin runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«
»Es gibt noch immer viele Offiziere und wohlhabende Patrizier, die über versteckte Vorräte verfügen. Wenn ich zu ihnen gehen würde …«
»Nein!« erwiderte Martin entschieden.
»Aber es könnte uns das Leben retten.«
»Das kommt nicht in Frage. Eher bestehle ich die Toten, als daß du dich an diese Männer verkaufst.«
Sie hatte gehofft, er würde mehr Einsicht zeigen. »Es wird bald nichts mehr geben, was du von den Toten stehlen kannst.«
Er hielt ihre Schulter und schaute ihr fest in die Augen, ein Blick, dem sie nicht ausweichen konnte.
»Ich liebe dich, Thea. Der Gedanke, daß ein fremder Mann zwischen deinen Beinen liegt, macht mich verrückt.«
»Dann hättest du dich nicht mit einer Hure einlassen sollen.«
»Du bist keine Hure mehr. Wie oft soll ich dir das noch sagen?« Er preßte die Lippen zusammen, schaute nach links und rechts, als suche er jemanden, der ihn in seiner Meinung bestätigen würde, und sagte dann: »Diese Belagerung wird nicht ewig dauern. Es wird zu einer Entscheidung kommen. Und bis dahin werden wir uns mit dem begnügen, was wir haben.«
Thea wußte nicht mehr, was sie darauf erwidern sollte, und es hatte ja ohnehin keinen Zweck, mit diesem halsstarrigen Kerl noch länger über das Thema zu sprechen. Statt dessen hielten sie sich eine Weile schweigend im Arm, bis Martin von Albrecht zurück in das Lazarett gerufen wurde.
Thea blieb noch eine Zeitlang niedergeschlagen und ratlos auf dem Brunnenrand sitzen, bevor sie sich zurück auf den Weg in das Lager machte.
Martin kehrte an diesem Abend früher heim und verspeiste wortkarg den letzten Kanten Brot, den sie noch hatten. Dann nahm er Theas Hand und drückte einige Kreuzer hinein. Waren es die Münzen eines Toten? Sie fragte nicht danach.
»Versuch, etwas zu essen davon zu besorgen. Vielleicht bekommst du auf dem Markt einen Laib Brot oder eine Handvoll Bohnen dafür.«
Thea seufzte. »Das käme einem Wunder gleich.«
»Es wäre nicht das erste Wunder, das wir erleben.« Er lachte leise, dann wurde seine Miene wieder ernster. »Wir werden das hier durchstehen, und wir werden überleben. Aber bitte versprich mir, daß du dich niemals wieder verkaufen wirst.«
Thea zögerte. Konnte sie ihm das wirklich versprechen? Welchen Wert besaß ein solcher Schwur denn, wenn der Hunger eine noch größere Macht über sie erlangen würde?
»Ich verspreche es dir«, sagte sie schließlich, reichte ihm die Hand und zog ihn auf die Beine. Umschlungen gingen sie zum Zelt und ließen sich auf dem Nachtlager nieder.
Der weitläufige Nürnberger Markt war so dicht mit Menschen gefüllt, daß es Thea kaum gelang, sich durch die zusammengedrängte Masse zu bewegen. Vor allem die Frauen waren hergekommen. Sie hielten Ausschau nach den Fleischern, Bäckern und Salzhändlern, die sich aber schon seit Tagen nicht mehr blicken ließen. Schuhe, Kleidung, Tücher, Töpfe oder auch Waffen wurden zuhauf feilgeboten, doch niemand interessierte sich dafür. Es wurde davon gesprochen, daß ein Proviantzug von Westen her die Stadt erreicht hatte. Bald, so hieß es, würden Brot, Gemüse und Fleisch an die Bürger verteilt werden, doch Thea entdeckte auf diesem
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