Der Glasmaler und die Hure
in das kaum ein Schimmer Tageslicht drang, untergebracht worden waren. Als sie eintrat und ihr der Geruch von Blut und Eiter in die Nase stieg, fühlte sie sich schlagartig in das Lazarett von Podelwitz zurückversetzt.
Hier vor Nürnberg hatte sich noch keine entscheidende Schlacht entwickelt, doch an den Wällen und Schanzen trugen die Landsknechte ständig kleinere Scharmützel aus. Dutzende Soldaten wurden an jedem Tag mit durchschossenen Leibern und tiefen Stichwunden in dieses Lazarett geschafft. Der Gestank und die Sommerhitze lockten Scharen von Schmeißfliegen an. Es gab keine Verpflegung für die Leidenden, und auch das Wasser roch faulig und verdorben. Martin hatte ihr berichtet, daß nur etwa jeder zehnte Mann, der in das Kontor gebracht wurde, es lebend wieder verließ.
Nahe des Eingangs entdeckte Thea Meister Albrecht. Der Chirurg trug wie immer seinen schwarzen Mantel. Thea hatte sich oft darüber gewundert, warum Albrechtselbst in dieser Hitze die schwere Kleidung nicht ablegte, doch Martin hatte ihr erklärt, daß sein Lehrmeister fest davon überzeugt war, daß der dicke Wollstoff die Krankheiten von ihm fernhielt, denen er hier im Lazarett in besonderem Maße ausgesetzt war. Jeder Arzt schien eine andere Methode zu befolgen, um sich zu schützen. Viele trugen Amulette, geweihtes Wasser oder Zettel mit Segenssprüchen bei sich. Martin hingegen hatte es sich angewöhnt, sich zweimal am Tag gründlich zu waschen, was von Meister Albrecht spöttisch belächelt wurde.
Albrecht bemerkte Thea und winkte sie heran.
Sie konnte den Chirurgen gut leiden. Albrecht war ein freundlicher, ruhiger Mann, der seine schwierigen Aufgaben gründlich und gelassen erledigte. Auch Martin kam bestens mit ihm zurecht und lobte oft in höchsten Tönen Albrechts umfassendes Wissen und dessen Erfahrungsschatz.
»Welch Freude, eine schöne Frau in diesem stinkenden Rattenloch zu sehen«, sagte Albrecht und streckte Thea seine Hände entgegen. Im nächsten Moment fiel ihm auf, wie schmutzig und blutverschmiert die Finger waren, und er zog sie schnell zurück. »Entschuldige, Thea«, meinte er.
Thea schmunzelte nur über diesen kleinen Lapsus und schaute in die Runde. »Ich muß mit Martin sprechen. Wo finde ich ihn?«
Albrecht deutete in den hinteren Bereich »Dort drüben müßte er sein. Ich glaube, er wollte einem Kerl einige Zahnsplitter entfernen. »
»Ich hoffe, ich störe nicht.«
Albrecht schüttelte den Kopf. »Martin kann eine Pause gebrauchen. Er hat seine Instrumente seit über zehn Stunden nicht aus der Hand gelegt. Geht nach draußen und erfrischt euch am Brunnen.«
Thea folgte der Richtung, in die Albrecht sie gewiesen hatte, und fand Martin über einen Söldner gebeugt, der aufeinem Schemel vor ihm saß. Als sie näher trat, konnte sie erkennen, daß dem Mann der Kiefer zertrümmert worden war. Der Soldat blinzelte und jaulte. Tränen liefen seine Wange herab, während Martin mit Zange und Lanzette Zahn- und Knochensplitter aus dem Mundraum entfernte.
»Halt das Maul offen!« wies Martin ihn energisch an. »Und untersteh dich zu schlucken! Du würdest an deinen eigenen Zähnen ersticken.«
Martins Worte ließen den Kerl noch gequälter winseln. Die Hände zitterten in seinem Schoß.
Vorsichtig legte Thea eine Hand auf Martins Schulter. Er zuckte zusammen und drehte sich um. Seine Augen strahlten, als er sie erkannte. Er wollte sie küssen, doch dann hielt er sich vor all den todgeweihten Männern zurück und berührte nur ihre Hand.
»Ich möchte mit dir reden«, sagte Thea.
Martin nickte und deutete mit den Augen auf seinen Patienten. »Du mußt nur warten, bis ich diese Arbeit erledigt habe.«
Thea trat einen Schritt zurück und verfolgte mit, wie Martin einen Splitter nach dem anderen aus dem Mund fischte und auf den Boden fallen ließ. Martins Augen verrieten seine Konzentration, auch wenn er müde wirkte und sein Gesicht mit Bluttropfen besprenkelt war.
Bald darauf legte Martin die Zange zur Seite. Er drückte dem Soldaten ein in Öl getränktes Tuch in die Hand und riet ihm, es einige Stunden an den Kiefer zu drücken. Der Mann nickte matt, und schon diese unbedachte Bewegung schien ihm so arge Schmerzen zu bereiten, daß er wohl einer Ohnmacht nahe war.
Martin nahm Thea an die Hand und führte sie in einen schmalen Hinterhof zu einem Brunnen. Er wollte sie an sich ziehen und küssen, doch Thea entzog sich ihm lachend und meinte: »Unterstehe dich! An dir klebt mehr Blut als an einem
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