Der Glasmaler und die Hure
würde, damit sie sich auf den Heimweg machen konnte.
Sie wartete auf den Moment seines Aufbäumens, um sich ihm schnell genug zu entziehen, bevor es aus ihm herausdrängte, doch ihre Aufmerksamkeit wurde durch ein kaltes Stück Metall gestört, das auf ihre Wange fiel. Thea schlug die Augen auf und sah, daß ihm ein Medaillon aus dem Hemd gerutscht war, das nun mit jeder Stoßbewegung auf ihrem Gesicht tanzte.
Als er seinen Oberkörper aufrichtete, konnte sie das Medaillon genauer erkennen. Es mochte aus Silber gefertigt sein und …
Thea zuckte erschrocken zusammen. Der Bursche spürte ihre plötzliche Anspannung. Er hielt inne und raunte: »Was ist mit dir?«
Sie schob ihn von sich und griff nach dem ovalen Anhänger.Es gab keinen Zweifel. Sie hatte dieses Medaillon schon einmal in den Händen gehalten. Vor langer Zeit in Magdeburg.
»Gefällt es dir?« fragte er. »Man kann es aufklappen und das Bild einer Frau anschauen. Sie sieht dir sogar ähnlich.«
»Wie heißt du?« krächzte Thea.
»Berthold«, entgegnete er.
Berthold. Sie wußte, daß dies einer der Namen von Martins Vettern war. Und bei dessen Bruder, den Berthold hier erwartete, konnte es sich nur um Rupert handeln – den Einäugigen, der Martins Frau getötet und geschändet hatte.
Sie drängte den erstaunten Berthold von sich, der verunsichert sein Geschlecht bedeckte.
Der Gedanke, daß einer der Mörder Sophia Fellingers fast seinen Samen in sie ergossen hätte, ließ Übelkeit in ihr aufsteigen. Sie mußte fort von hier. Rasch sprang sie aus dem Bett, legte die Finger um das Medaillon und riß es Berthold vom Hals. Thea raffte ihr Hemd über der Brust zusammen und stürzte aus der Kammer. Auf dem Korridor prallte sie gegen einen massigen Körper. Zwei kräftige Hände hielten sie fest. Sie schaute auf und fuhr wie vom Blitz getroffen zusammen, als sie in das von einer vernarbten Augenhöhle entstellte Gesicht blickte.
Sie wand sich aus dem Griff, und da der Kerl vor ihr wohl ebenso überrascht war wie sie, gelang es ihr, sich zu befreien. So schnell sie konnte lief Thea davon. Erst als sie den Waldrand erreicht hatte, blieb sie keuchend stehen und wandte sich um. Niemand war ihr gefolgt. Sie öffnete die Hand. Ihre Finger zitterten so heftig, daß das Medaillon fast zu Boden fiel, als sie es aufklappte und Sophia Fellingers Porträt betrachtete.
Martin kehrte an diesem Abend in bester Laune von seinem Dienst bei Meister Albrecht zurück. Er war früh amTag von dem Chirurgen zu einem Hauptmann geschickt worden, um diesem einen eiternden Zahn zu entfernen. Nach Erledigung dieser Aufgabe entlohnte ihn der Proviantmeister des Offiziers mit einer toten Gans, und Albrecht hatte Martin das Tier überlassen. Katharina hatte die Gans schnell gerupft und das Fleisch in eine Suppe geschnitten. Mit hungrigem Blick streckte Martin nun seine Schüssel zum dampfenden Kessel aus und ließ sich die wohlriechende Mahlzeit auftragen.
Als er Thea die Schüssel reichte, bebten ihre Hände so heftig, daß die Suppe ein wenig über den Rand schwappte. Martin betrachtete sie stirnrunzelnd und meinte: »Du zitterst ja.«
»Mir ist kalt«, erwiderte sie knapp. Wie hätte sie ihm erklären sollen, was ihr zugestoßen war? Welchen Sinn sollte es haben, ihm zu verraten, daß sie wußte, wo sich die Mörder seiner Frau aufhielten? Martin hatte die Schatten der Vergangenheit überwunden. Das Wissen um Rupert und Berthold würde den alten Haß in ihm wecken und ihn zu Taten treiben, durch die sein Leben in Gefahr geraten würde.
Aus diesem Grund schwieg sie. Doch der Gedanke, daß Martin seinen Vettern im Lager zufällig begegnen konnte, machte sie fahrig und nervös. Zudem schnürte er ihr so arg die Kehle zusammen, daß sie keinen Bissen hinunterbrachte.
Ihre linke Hand berührte das Medaillon, das sie in ihrer Schurztasche verborgen hielt. Martin durfte es niemals zu Gesicht bekommen, und darum würde es das beste sein, wenn sie es noch heute in den Fluß warf, wo es auf dem dunklen Grund keinen Schaden mehr anrichten konnte.
»Warum hast du keinen Appetit?« Martins Stimme riß sie aus ihren Gedanken. Sie fühlte sich ertappt und fuhr zusammen.
»Was ist mit dir?« fragte er.
Thea wollte ihm antworten, brachte aber kein Wort hervor.
»Geht es dir nicht gut? Bist du krank?« Martin berührte ihre Stirn, doch sie schüttelte nur den Kopf.
»Du solltest trotzdem essen. Es ist selten genug, daß frisches Fleisch in unseren Töpfen landet.«
»Martin,
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