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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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den Toren gieren nach Blut. Sie werden euch finden und mit deiner Frau gräßliche Dinge tun.« Seine Hand legte sich an Sophias Wange. Sie wich zurück und schlug die Finger fort.
    Martin wurde es zuviel. Er wollte Rupert ans Wams fassen und ihn aus dem Küchenraum zerren, doch sein Vetter stieß ihn so hart vor die Brust, daß Martin stolperte und zu Boden fiel.
    Fredeke nutzte die Aufregung, griff die Pfannkuchen und lief aus der Küche. Rupert setzte ihr nach, doch Sophia stellte sich ihm mit ausgebreiteten Armen in den Weg.
    Einen Augenblick lang standen sie sich so gegenüber, dann lachte Rupert. »Ich hoffe, ihr verreckt in eurem Keller, ihr Misthunde!« stieß er hervor und spuckte verächtlich aus. »Brennen soll euer Haus! Und ihr dazu!« Er schnitt eine Grimasse und ging durch die Hoftür davon.
    Martin stand auf und legte einen Arm um Sophia. Sie wirkte erschüttert.
    »Er macht mir Angst«, sagte sie leise.
    »Rupert ist nur ein großmäuliger Narr«, versuchte er siezu beruhigen, doch er merkte, daß seine Hände zitterten, denn Sebastian hatte unzweifelhaft recht. Rupert war gefährlich.
     
    Zerknirscht kehrte Rupert zum »Grauen Gugelfrantz« zurück, der größten Schankwirtschaft, die innerhalb des Zeisigbauers zu finden war. Die Zecher hockten dort in einer offenen, gepflasterten Halle an den Tischen und johlten, sangen und stritten so lautstark, daß die Spielleute, die auf einem Holzpodest ihren Fideln und Flöten feurige Melodien entlockten, kaum zu hören waren. Rupert trat an den grölenden Männern und Weibern vorbei, schob rüde eine Dirne zur Seite, die sich ihm in den Weg stellte, und gelangte zu dem riesigen Herd. Als er vor Wochen eine der stickigen Kammern im »Grauen Gugelfrantz« bezogen hatte, war hier noch an jedem Abend ein Kalb am Spieß gebraten worden. Nun brannte schon lange kein Feuer mehr in diesem Herd, und die meisten Gäste konnten sich glücklich schätzen, wenn sie einen Kanten Brot ergatterten oder eine Scheibe Pökelfleisch, das inzwischen kostbarer als Gold gehandelt wurde.
    Auch wenn sie kaum noch etwas Schmackhaftes zwischen die Zähne bekamen, versiegte doch nie der Strom an Wein und Bier. Der Alkohol half dabei, den leeren Magen für eine gewisse Zeit zu vergessen. Rupert ließ sich auf einem freien Platz nieder und verlangte nach einem Krug des spanischen Muskatels, den er rasch die Kehle hinunterstürzte.
    Der Rauch, der aus den verrosteten Eisenlampen strömte, brannte in seinen Augen. Verdrossen betrachtete er all die abgerissenen Gestalten um sich herum, von denen nicht wenige bereits mit dem Kopf in einer Bierlache auf dem Tisch schliefen. Eine fatale Untergangsstimmung hatte sich in der gesamten Stadt ausgebreitet. Die Menschen soffen und gerieten außer Rand und Band, als wärensie überzeugt davon, den nächsten Tag nicht mehr zu erleben.
    Die Tochter des Wirtes, ein Mädchen von vielleicht zehn Jahren, stellte vor Rupert einen weiteren gefüllten Weinkrug ab, blieb aber stehen und starrte neugierig in sein Gesicht.
    »Was glotzt du so?« fragte er barsch.
    Sie antwortete nicht sofort, sondern streckte einen Finger zu der vernarbten, leeren Augenhöhle aus.
    »Darf ich’s mal anfassen?«
    Rupert nickte. Das Mädchen richtete sich auf die Zehenspitzen und berührte vorsichtig die Stelle, an der sich einst sein rechtes Auge befunden hatte. Viele Landsknechte bedeckten einen solchen Makel mit einem Stoffband oder einer Lederklappe, doch Rupert hatte darauf stets verzichtet. Die häßliche Wunde hatte sein Leben geprägt, und er dachte nicht daran, sie zu verbergen, auch wenn ein solches Kainsmal abstoßend auf andere Menschen wirken mochte.
    »Warum ist’s nicht mehr da?« wollte das Mädchen wissen.
    Rupert zögerte mit einer Antwort auf ihre Frage. Aus welchem Grund sollte er diesem Mädchen davon berichten, was ihm widerfahren war? Doch ihr neugieriger Blick rührte ihn, und so erwiderte er: »Ein dänischer Landsknecht hat mir seinen Dolch hineingetrieben.« Diese Antwort mußte ihr genügen. Er würde nicht davon sprechen, daß die Dänen ihn als Druckmittel benutzt hatten, um seinen Vater zu zwingen, ihnen zu sagen, wo er das Vieh versteckt hielt. Und sie brauchte auch nicht zu erfahren, daß sein Vater in starrer Angst und Reglosigkeit gezögert hatte, bis die Spitze des Dolches das Auge zerstochen hatte. Erst danach war der Widerstand seines Vater zusammengebrochen, und er hatte den Soldaten verraten, was sie wissen wollten.
    Ruperts ganzer Haß

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