Der Glasmaler und die Hure
sobald Magdeburg fällt.«
»Mit den Wölfen heulen und Beute machen.« Der Rote Wenzel zupfte an seinem Kinnbart. »Warum nicht?«
»Glaubt ihr denn wirklich, daß wir damit durchkommen würden?« fragte Berthold.
»Wir sprechen die gleiche Sprache wie Tillys Männer, und unsere Kleider sind ebenso schmutzig und zerschlissen wie die Uniformen der Kaiserlichen. Magdeburg wird im Chaos versinken, und wir werden zwischen den Landsknechten überhaupt nicht auffallen.« Rupert zog seine Pistole aus dem Wams und rieb über den Lauf. »Warum also sollen wir es den katholischen Aasfressern überlassen, unseren sturen Vetter zur Mildtätigkeit zu zwingen?«
Die Dämmerung schien nicht nur das Tageslicht zu verschlucken, sondern auch die Menschen, die sich von den Straßen in ihre Häuser, in die Notquartiere oder in die Kirchen zurückzogen. Martin stand lange am offenen Stubenfenster und beobachtete, wie die letzten Gestalten unter dem Fenster vorbeizogen. Vereinzelt konnte er nochgrölende Betrunkene hören, das Bellen eines Hundes oder einen entfernten Musketenschuß. Eine Turmuhr schlug zur zehnten Abendstunde.
Üblicherweise legte er sich früher zu Bett, doch heute wollte sich bei ihm keine Müdigkeit einstellen. Sein Kopf war beladen mit schweren Gedanken, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließen.
Vor allem Theas unerwarteter Besuch beschäftigte ihn. Zwar erleichterte es Martin, daß sie ihm das Medaillon zurückgebracht hatte, aber das Zusammentreffen von Thea und Sophia stürzte ihn in Verlegenheit. Er ärgerte sich noch immer darüber, daß Thea es sich angemaßt hatte, ihn in seinem Haus aufzusuchen. Es wäre klüger von ihr gewesen, wenn sie ihn unter vier Augen auf der Straße angesprochen und das Medaillon zurückgegeben hätte.
Himmel noch mal, ich habe nichts Unrechtes getan,
überlegte er ernüchtert.
Wofür muß ich mich rechtfertigen?
Gewiß, die Zeit mit Thea war nie gänzlich aus seinen Gedanken verschwunden, aber dieses Band glich eher einer alten Erinnerung – wie ein einstmals liebgewonnenes, jedoch lange vergessenes Spielzeug, das einem nach Jahren auf dem Dachspeicher in die Hände fällt. Die einzige Frau, die ihm wirklich etwas bedeutete, war Sophia.
Doch er machte sich nicht nur über Thea Gedanken. Wann immer er die Augen schloß, sah er den Belagerungsring um Magdeburg vor sich – das gewaltige Heer in der Ferne und die hungernden Söldner, die in den Ruinen der Suderburg umherstreiften. Zudem konnte er die Worte seines Bruders nicht vergessen.
In der Nacht sieht man vieles, was am Tag verborgen bleibt.
Sie legen Sprengfallen in der Stadt an.
Falkenberg hat Magdeburg aufgegeben und ist zu jedem Opfer bereit, um dem Feind keine Basis zu hinterlassen.
Zogen auch in dieser Nacht Männer umher, die Pulverminenvergruben und in die Häuser trugen, um die Zerstörung der Stadt zu planen? Martin hielt sich nicht für einen ängstlichen Menschen, aber wenn man seit Wochen am Abgrund zur Hölle lebte, brannte sich die Furcht vor dem Tod wie heiße Glut in die Seele.
Seine Sorge galt vor allem Sophia und ihrem ungeborenen Kind. Sie waren sein Leben und seine Zukunft. Ohne sie war diese Welt für ihn so bedeutungslos wie ein Stein, den man vom Boden aufhob und achtlos fortwarf.
Martin schloß die Fensterläden, nahm das Talglicht vom Sims und trat zu seinem Meisterwerk: der in Glas gestalteten friedvollen Ansicht Magdeburgs. Abgesehen vom schalen Schein des Talglichts war es dunkel im Raum. Die kleine Flamme warf ein bedrohliches Flackern auf das Glasmosaik und spiegelte sich auf den bunten Fragmenten wider. Es hatte den Anschein, als wäre das Feuer auf die Gebäude in diesem Bild übergesprungen.
Wie sehr er doch an dieser prächtigen Stadt hing. Je länger die Belagerung anhielt, desto öfter kam ihm in den Sinn, wie lieb und teuer ihm Magdeburg war.
Martin begab sich zu Sophia in die angrenzende Schlafkammer. Während er seine Zähne mit einem Lappen und mit Salz reinigte, lag sie auf der Bettstatt und las im Kerzenschein in einem der Bücher, die sie gekauft hatte. Sie schmunzelte und amüsierte sich über die kurzen Schwänke. Schon des öfteren hatte sie Martin aus diesen Büchern vorgelesen, doch mit der Zeit langweilten ihn die Geschichten, die stets von geilen Pfarrern, Mönchen oder Knechten handelten, die von gewitzten Mädchen überlistet wurden.
Er entkleidete sich und nahm sein Nachthemd aus der Truhe. Sophias Augen wandten sich nicht vom Buch ab. Martin brummte
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