Der Glasmaler und die Hure
die Hand verzweifelt in die Erde. Plötzlich bekam Thea einen faustgroßen Stein zu fassen. Sie zögerte keinen Augenblick, preßte ihre Finger um den Stein und schlug ihn, so fest sie es vermochte, auf den Hinterkopf des Soldaten.
Wie ein geprügelter Hund jaulte er auf, und Thea schlug ein zweites Mal auf ihn ein. Laut fluchend ließ er von ihr ab. Es gelang ihr, ihn von sich zu stoßen. Keuchend kroch sie ein Stück von ihm fort und kam endlich auf die Beine.
Der Soldat preßte eine Hand auf seinen Hinterkopf und schwankte benommen. Thea trat auf ihn zu und schlug ihm den Stein mit aller Gewalt vor die Stirn. Der Mann röchelte und sackte zusammen.
Atemlos fiel Thea auf die Knie und ließ den Stein fallen. Im Gefühl ihres Triumphes begann sie nervös zu lachen. Nicht jeder Soldat der Kaiserlichen hatte an diesem Tag in Magdeburg reiche Beute gemacht.
Der Offizier gab nur noch ein jämmerliches Stöhnen von sich. Trotz seines erbärmlichen Zustands fürchtete Thea,er könnte aufspringen und sie erneut zu Boden zwingen. Dennoch kroch sie auf ihn zu und zerrte ihm den Mantel vom Körper. Die Kleidung des Soldaten würde es ihr ermöglichen, sich unerkannt zwischen den mordlüsternen Landsknechten zu bewegen. Aus diesem Grund zog sie ihm auch die Stiefel aus und nahm seinen Hut an sich.
Seine Sachen waren, wie zu erwarten war, viel zu groß für sie. Der Saum des Mantels reichte bis auf den Boden, in die Stiefel mußte sie Stoffetzen stecken, um nicht zu stolpern, und der Hut rutschte ihr fast über die Augen. Aber nur so konnte sie mit heiler Haut eines der Stadttore erreichen.
Den unhandlichen Degen ließ Thea indes zurück. Allerdings trug der Soldat noch einen Dolch bei sich, den sie unter dem Mantel verbergen konnte. Sie drehte sich noch einmal um, spuckte verächtlich auf den wimmernden Mann vor sich und lief dann rasch aus der Gasse zurück auf die Straße.
Die Stadt versank in einem Chaos aus Blut und Feuer. Ihre Mutter hatte ihr oft von den Schrecken der Hölle erzählt, ohne daß Thea sich recht eine Vorstellung von diesem Ort der Verdammnis hatte machen können. Nun begriff sie, daß die Hölle mehr war als ein Sinnbild des Schmerzes; es gab sie wirklich, und die Menschen selbst schufen diese Hölle.
Die Straßen waren voller Leichen. Mit weichen Knien trat Thea über die verrenkten Leiber hinweg und wich den starren Blicken der vor Schreck und Todesangst geweiteten Augen aus. Der Saum ihres Mantels färbte sich bereits nach wenigen Augenblicken rot. Das Blut der Magdeburger bedeckte das Pflaster, als wäre es vom Himmel geregnet.
Thea sah, wie die Söldner Frauen ergriffen und sie auf offener Straße schändeten. Andere Landsknechte trieben die Menschen zu Dutzenden zusammen und jagten sie ohne Erbarmen in die brennenden Häuser.
Viele der Kaiserlichen waren aber auch nur an den Plünderungen und der Aussicht auf Beute interessiert. Immer wieder kreuzten Söldner Theas Weg, die in Säcken, Kisten oder mit bloßen Händen all das aus der Stadt fortschafften, was für sie von Wert war. Sie sah auch Soldaten, die wohlhabende Magdeburger Bürger unter ihrem Schutz aus der Stadt führten. Wahrscheinlich erhofften sie sich von diesen Männern und Frauen oder ihren Angehörigen ein angemessenes Lösegeld.
Zumindest schien ihre Tarnung tatsächlich von Nutzen zu sein, denn während die Menschen rings um sie herum wie Vieh abgeschlachtet wurden, schenkten die Soldaten ihr keine Beachtung. Trotzdem zog Thea den Hut noch tiefer ins Gesicht und lief rasch weiter.
Vor dem Haus eines Schuhmachers blieb sie dann doch stehen. Um sie herum lagen mehrere übel zugerichtete Leichen. Sie kniete sich zu einem Mädchen, dem die Kehle durchtrennt worden war, und überlegte, warum ihr dieses Gesicht so bekannt vorkam. Einen Augenblick später wurde ihr klar, daß es sich um die Magd handelte, der sie in Martin Fellingers Haus begegnet war. Sie mußte geflohen und in die Hände der mordgierigen Söldner geraten sein. Warum nur hatte die junge Frau die Sicherheit des Hauses aufgegeben?
Thea löste sich von der Magd, die mit ihren leblosen Augen auf die Blutlache starrte, die sich auf dem Straßenpflaster ausgebreitet hatte, und lief rasch weiter, bis sie Martins Haus erreichte.
Das Gebäude war noch nicht vom Feuer erfaßt worden und anscheinend von der Welle der Gewalt, die über Magdeburg hinwegspülte, unberührt geblieben. Die Eingangstür jedoch stand offen. Thea fragte sich, ob sich Martin und seine Frau noch
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