Der Glasmaler und die Hure
geschwärzten Birnhelm trug, fixierte sie mit argwöhnischen Augen. Thea antwortete nicht und lief weiter. Sie passierte das Tor und hatte endlich die Stadt hinter sich gelassen. Vor ihr lag das Elbufer. Die Brücke vor ihr war von den Magdeburger Verteidigernbereits vor Wochen zerstört worden, um die Kaiserlichen von der Stadt fernzuhalten. Thea mußte sich also nun entscheiden, ob sie versuchen sollte, auf einem der Kähne, die über den Fluß fuhren, zum anderen Ufer überzusetzen oder ob sie die Stadtmauer entlangziehen sollte, bis sie an den Rand der Neustadt gelangt war. Sie mußte Martin nur schnell fortschaffen, denn hier am Elbufer befand sie sich inmitten Hunderter Soldaten, welche die Stadt bereits wieder verlassen hatten und mit ihrer Beute zurück in die Lager eilten. Viele dieser rußgeschwärzten Gestalten waren mit dem Blut der Magdeburger befleckt.
Eine Hand langte nach Theas Schulter. Sie erschrak und erstarrte. Im nächsten Moment wurde ihr der Hut vom Kopf gerissen.
Sie drehte sich um und sah den Soldaten mit dem Birnhelm vor sich. »Hab ich’s mir doch gedacht«, sagte er. »So klein und dürr ist keiner unserer Offiziere.«
Als der Mann mit der Hand ausholte, um sie zu schlagen, zog Thea den Dolch hervor und stach ihn dem Söldner in die Brust. Es war eine ungelenke Attacke. Das Messer prallte auf eine Rippe und fiel ihr aus der Hand. Der Soldat taumelte zurück, preßte eine Hand auf die Wunde und stieß einen lauten Schrei aus.
Dutzende Augenpaare richteten sich auf sie. Zwar schienen die Soldaten noch nicht recht zu begreifen, warum ihr Kamerad solch wütende Wehklagen ausstieß, doch es würde sicher nicht lange dauern, bis sie ihm zu Hilfe eilten. Thea blieb nun nur noch eine Möglichkeit zur Flucht. Sie hob den Dolch auf und durchtrennte damit das Seil, mit dem sie Martin an die Karrette gefesselt hatte, dann faßte sie ihn um die Schultern und schleppte ihn keuchend bis zum Ufer.
»Haltet sie auf, die Metze!« kreischte der verwundete Soldat. Thea beobachtete, wie sich die ersten Männer aus der Menge lösten und auf sie zueilten. Endlich hatte sie dasUfer erreicht. Sie streifte den Mantel und die schweren Stiefel ab, dann schleifte sie Martin in das kalte Wasser der Elbe.
Sie waren nicht die ersten, die sich in den Fluß geflüchtet hatten. Zahlreiche Männer und Frauen trieben in der Elbe. Viele von ihnen wurden leblos von der Strömung davongetragen, andere hielten sich mit ungelenken Bewegungen über Wasser oder klammerten sich an die wenigen Bretter und Äste, die im Fluß trieben. Thea war in diesem Moment sehr froh, daß ihr Vater sehr viel mehr Wert darauf gelegt hatte, sie das Schwimmen zu lehren als das in seinen Augen überflüssige Lesen und Schreiben. Ohne diese Übungen hätte sie es wohl kaum geschafft, Martin an sich zu klammern und darauf zu achten, daß sein Kopf nicht untertauchte, während sie selbst bis in die Flußmitte schwamm.
An den Ufern und auf der Elbinsel hatten sich Musketiere aufgestellt und schossen auf die Flüchtenden im Wasser. Bleigeschosse surrten pfeifend über den Fluß. Mehrmals vernahm Thea das Ächzen von Menschen in ihrer Nähe, die sich kurz aufbäumten und dann reglos auf dem Fluß trieben, während sich das Wasser um sie herum rot färbte.
Hier in der Mitte des Flusses brachte sie die Strömung am schnellsten aus der Reichweite der Musketen. Thea wähnte sich bereits in Sicherheit, als ein Geschoß ihren Oberarm streifte. Sie schrie auf, konnte es aber verhindern, daß Martin ihr aus dem Arm glitt. Zwar war sie noch in der Lage, ihre Schulter zu bewegen, aber die Kugel hinterließ eine schmerzhafte Wunde. Jede Bewegung verursachte Schmerzen, und daher preßte sie Martin fester an sich und ließ sich einfach treiben. Sie schloß die Augen und überließ es dem Schicksal, ob sie dem Feuer der Musketen entkamen. Eine Weile noch vernahm sie die Schüsse, dann drang nur noch das Rauschen des Flusses an ihre Ohren.Sie öffnete die Augen und sah, daß sie sich nicht mehr auf Höhe des Kampfgeschehens befanden. Thea bekam einen Ast zu fassen und klammerte sich an ihm fest. Die Strömung trug sie nach Norden und brachte sie fort von der Stadt, die unaufhaltsam im Feuer unterging.
Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie auf der Elbe trieben. Es mochte mehr als eine Stunde vergangen sein, bis sie eine Stimme hörte. An einer Uferböschung stand ein kahlköpfiger Mann und winkte sie heran.
»Hier rüber. Hier seid ihr in Sicherheit«, rief
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